Tichys Einblick
Die alte Grenze ist zurück

Die zweite Teilung Deutschlands

Deutschland ist erneut gespalten: Die Wahlkarte zeigt einen tiefblauen Osten und einen schwarz geprägten Westen. Die AfD wird zur Volkspartei des Ostens, während der Westen sie verteufelt. Ein Aufstand gegen alte Wunden, überhebliche Westpolitiker und eine gescheiterte Einheit. Von Konrad Adam

picture alliance/dpa | Sebastian Kahnert

Den meisten Aufschluss darüber, was mit der letzten Wahl anders geworden ist, verspricht ein Blick auf die Landkarte. Da erkennt man, dass etliche Jahre nach der Wiedervereinigung die alte Demarkationslinie, die Zonengrenze, wieder sichtbar wird. Sie teilt das Land von Neuem, diesmal in einen fast durchgehend blau gefärbten Osten und einen überwiegend schwarzen Westen, aufgelockert durch ein paar rote Flächen im Norden und grüne Einsprengsel im Süden des Landes. Im Osten liegt die AfD auf allen Ebenen – in Kreisen, Städten und Gemeinden – weit vorn. Zwar hat sie auch im Westen zugelegt, ist hinter der CDU – und vor der SPD! – zweitstärkste Kraft geworden, doch nur im Osten ist die AfD unangefochten das, was CDU und SPD gern sein wollen, aber nicht mehr sind: eine Volkspartei. Die einzige, die diesen Namen auch verdient.

Westparteien gibt es reichlich, aber nur zwei genuine Ostparteien: neben der AfD die Linke, die Nachlassverwalterin von SED und PDS. Ihr gutes Abschneiden im Osten war vorhersehbar – nur eingefleischte Westler konnten sich überrascht fühlen. Denn ähnlich wie die AfD versteht sich auch die Linke als Protestpartei, und Protest kommt unter Leuten, die sich übergangen, gedemütigt, um ihre Lebensleistung – wie die ständig wiederholte Formel lautet – betrogen fühlen, gut an. In diesem Klima hat die Linkspartei das BSW, das im Osten nicht zu Unrecht als Westpartei wahrgenommen wird, mühelos überrundet. Sie wäre wohl noch stärker geworden, wäre ihr die AfD als Anwalt der Entrechteten, der Mühseligen und Beladenen nicht um Jahre voraus gewesen. Aber die Rolle zieht: Ausgerechnet in Thüringen, wo die AfD schon seit Jahren stärkste Partei ist, hat Bodo Ramelow, der langjährige Ministerpräsident, für die Linke den zentralen Wahlkreis Erfurt-Weimar erobert. Die übrigen Wahlkreise gingen an die AfD, die andere Protestpartei.

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Wahlen in unruhiger Zeit
Um zu verstehen, was da vorgeht, sollte man sich freimachen vom Glauben an den verstaubten Gegensatz von rechts und links. Scharf war der noch nie; inzwischen ist er gänzlich unbrauchbar geworden. Man überlege: Die AfD ist für den Mindestlohn; das BSW auch. Die AfD will die Einwanderung begrenzen; das BSW auch. Die AfD hält auf Distanz zu Amerika und sucht die Nähe zu Russland; das BSW auch. So könnte man lange fortfahren, ohne den Ursachen für den Erfolg der einen und die Niederlage der anderen Populisten auf die Spur zu kommen.

Klarer wird das Bild erst dann, wenn man das Rechts-Links-Schema durch das Ost-West-Gefälle ersetzt und die Wahl als eine Abrechnung versteht, mit der sich die Ostdeutschen Luft machten über das Unrecht, die Willkür und die Leiden, die ihnen der Westen zugefügt haben soll. Bodo Ramelow mag aus dem Westen stammen – als ehemaliger Ministerpräsident von Thüringen wird er als Anwalt des Ostens wahrgenommen, ähnlich wie Björn Höcke oder Alexander Gauland, die ähnliche Biografien hinter sich haben.

„Deutschland haftet als Ganzes!“, hatte Kurt Schumacher, der erste Vorsitzende der Nachkriegs-SPD, seinen Genossen eingeschärft. Die haben das längst vergessen. Oskar Lafontaine bekämpfte die Wiedervereinigung als ein Verlustgeschäft, und Sigmar Gabriel genoss es geradezu, die vom Schicksal gebeutelten Brandenburger, Thüringer und Sachsen als Pack, Mob und Gesindel anzusprechen – ganz ähnlich wie die beiden Ostbeauftragten, der eine von der CDU, der andere von der SPD, die das Amt dazu missbrauchten, ihre Landsleute als Materialisten, Populisten, Extremisten, Faschisten und so weiter zu beschimpfen. Keiner von ihnen ist auf den Gedanken gekommen, es wie Kurt Biedenkopf zu machen, der die Wähler dadurch für sich gewann, dass er, der geborene Pfälzer, in Sachsen von „Wir Sachsen“ sprach.

Wirtschaftlich liegt der Osten weit zurück und wird dort auf absehbare Zeit auch liegen bleiben; politisch hat er dem Westen aber einiges voraus. Denn anders als ihre Landsleute im Westen haben die Ostdeutschen nicht nur eine, sondern zwei Diktaturen hinter sich gebracht – erst eine braune und dann eine rote. Dabei haben sie gelernt, dass der Abstand zwischen der einen und der anderen gar nicht so gewaltig ist. Und dass es für das Opfer keinen großen Unterschied macht, ob es von der Stasi, der Gestapo, dem Verfassungsschutz oder sonst wem beobachtet, verfolgt, gedemütigt und angeprangert wird. Sie haben mehr erlebt als die Menschen im Westen und wollen das nicht noch einmal erleben. Die Wirklichkeit von heute ist ihnen näher als die Vergangenheiten von gestern oder vorgestern, deshalb wählen sie anders und grenzen sich ab. Die neue Grenze verläuft ziemlich genau da, wo auch die alte verlaufen war – mitten durch Deutschland.

Dr. Konrad Adam ist Journalist, Publizist und ehemaliger Politiker der AfD. Er war Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Chefkorrespondent und Kolumnist der Tageszeitung Die Welt in Berlin.


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