Tichys Einblick
Kanzler-Duell

Kampf der Scheinriesen: Scholz findet sich selbst toll, Merz die Grünen

Kanzler-Duell auf allen Kanälen, und es gibt kein Entkommen vor dem Sieg des Banalen: Olaf Scholz singt ein Hohelied auf sich selbst, Friedrich Merz setzt deutliche Signale für Schwarz-Grün. Nur eines eint die beiden: die Angst vor der AfD. Von Michael Plog

picture alliance/dpa/dpa-Pool | Michael Kappeler

Warum dieses Ereignis live auf gleich drei Sendern des gesichert reformbedürftigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks laufen muss (ARD, ZDF und Phoenix), bleibt das große Rätsel des Abends. Die Inhalte rechtfertigen es jedenfalls nicht.

Maischberger will nur wenige Fragen stellen und den Kontrahenten „Raum lassen“, das hat sie zuvor im „Bericht aus Berlin“ verkündet. Deshalb ist die für gewöhnlich ohnehin teilnahmslos wirkende Maybrit Illner eine ausgezeichnete Wahl für die Co-Moderation. Die beiden Damen haben wenig Mühe mit den Herren. Denn den beiden Kanzlerkandidaten nimmt man ihre Rivalität nicht wirklich ab. Es ist ein großes Schauspiel, getragen von jenem Damoklesschwert, das nun schon seit Jahren über der Politik schwebt: alle gegen die AfD. Alle gemeinsam. So verschieden sie auch sein mögen.

Damit der Abend auch für die Jugend systemkonform eingeordnet wird, hat sich der Rundfunk für die Plattform Twitch etwas Besonderes einfallen lassen. Dort kommentiert live ein Mann namens Levi Pedell. Der Aktivist und erklärte Merz-Hasser demonstriert gern mit Langstrecken-Luisa Neubauer und ist Mitglied der Grünen. Mehr offensichtliche Verachtung des Zuschauers geht kaum.

Schon bei der ersten Frage wird die AfD als Teufel an die Wand gemalt. Dass Friedrich Merz mit den Rechten eines Tages zusammenarbeiten könne, „das ist meine ernste Sorge“, betont Scholz. „Unsere Bundesrepublik hat die letzten Jahrzehnte sehr gut davon gelebt, dass die demokratischen Parteien sich einig waren: keine Zusammenarbeit mit den extremen Rechten.“

Es soll der vielleicht ehrlichste Satz des Abends sein.

Friedrich Merz, durch sein eigenes Verhalten der vergangenen Wochen angeschlagen, ist in der Defensive. Mit seinem Hin und Her hat er sich selbst in den Fuß und ins Knie geschossen, jetzt versucht er, Boden gutzumachen. „Es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen AfD und Union“, betont er, „Uns trennen in den Sachfragen Welten. Es wird diese Zusammenarbeit nicht geben.“ Ob Scholz ihm das glaube? Der antwortet knapp: „Nein.“

Eins zu Null für Scholz? Weit gefehlt. Merz greift ins Sakko, holt einen Spickzettel heraus und konfrontiert Scholz genüsslich mit seinen eigenen Aussagen. In einem Zeitungsinterview habe Scholz einst gesagt: „Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt.“ Scholz schwächelt. Das sei auf Kommunalebene eben etwas anderes, wenn „’ne Afd ’ne Kita beantragt“.

„Das Land ist in Aufruhr“, sagt Maybrit Illner, doch damit meint sie nicht etwa die wachsende Angst vor migrantischen Messermännern wie in Solingen oder Aschaffenburg, sondern die staatlich finanzierten Aufmärsche: „Es finden jeden Tag Demonstrationen statt!“ Stellungnahme bitte. Merz beteuert, dass er ein Abwarten in der Migrationspolitik „mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren kann“. Er habe vier Stunden lang um die Zustimmung der SPD geworben. Vergeblich. Illner ganz investigativ: „Wie sehr schmerzt es Sie, dass jemand wie Michel Friedman die CDU verlässt?“ Merz kontert: „Mich schmerzt, dass wir in diesem Lande Demonstrationen haben, die über dieses Thema ‚Kampf gegen Rechts‘ geführt werden, aber kaum jemand noch an die Opfer denkt.“

Scholz nimmt das Thema zum Anlass, sich selbst über den grünen Klee zu loben: „Wir haben die Abschiebung um 70 Prozent gesteigert, seit ich Kanzler bin“, posaunt er. Und Merz gibt sich gütig: „Die Bundesregierung hat ja nicht nichts getan. Sie hat ein bisschen getan.“ „Danke auch“, sagt Scholz lächelnd. Die Szene steht sinnbildlich für die geschmeidige Dynamik dieses Scheinduells. Ich tu Dir nix, tu Du mir nix.

Die beiden hauen sich dermaßen flauschig die Wattebäuschchen um die Ohren, dass dem Zuschauer das Melatonin alt wird. Merz zählt die Zahl der illegalen Einwanderer auf („Wir haben in den drei Jahren Ihrer Amtszeit weit über zwei Millionen irreguläre Migranten nach Deutschland gesehen. Das ist mehr als der Freistaat Thüringen Einwohner hat. Das ist einfach zu viel.“). Scholz verspricht „mehr Schutz an den europäischen Außengrenzen“, aber „Herr Merz hält sie auf, weil er eine Show machen will im Bundestag“.

Scholz scheint sich selbst richtig klasse zu finden. „Ich sage es hier laut und klar, damit es jeder hören kann: Es hat noch nie schärfere Gesetze gegeben als die, die ich durchgesetzt habe. Und die Wirkung sehen wir jetzt.“ Merz kontert: „Ich hab’, offen gestanden, jetzt nicht ganz verstanden, was der Bundeskanzler gerade gesagt hat.“

Damit spricht er dem Zuschauer aus der Seele.

Die Zurückweisungen nach Europarecht würden überall in Europa durchgesetzt, sagt Merz, „nur bei uns soll es angeblich nicht gehen“. Scholz schaltet auf Angriff, zweiter Gang, Halbgas: „Sie reden drumrum und deshalb erzählen Sie was Falsches. Es ist gegen deutsche Interessen, was Herr Merz hier vorschlägt.“ Man könne doch nicht „so doof“ sein, für Deutschland Ausnahmeregeln einzufordern „in dem Augenblick, in dem Deutschland es endlich unter meiner Führung…“, und so weiter und so fort.

Merz kritisiert oberflächlich die Grünen. Sie würden in ihren Geschäftsstellen Bargeld auf Bezahlkarten auszahlen oder Migranten in Abschiebegewahrsam einen Pflichtverteidiger an die Seite stellen, „um noch einmal alle Tricks auszuprobieren, um sich doch einer Abschiebung zu entziehen“. Doch im Kern, das macht der Abend deutlich, ist Merz den Grünen durchaus wohlgesonnen. Die dramatische Erhöhung des CO2-Preises ab 2027 etwa sei völlig in Ordnung: „Das ist der richtige Weg, um zur Klimaneutralität zu kommen.“ Grüner die Union nie klang.

Scholz ist weiter des Lobes voll – für sich selbst. Thema Abschiebung: „Ich habe dafür gesorgt, dass es jetzt auch überall losgehen kann.“ Er habe „die Inflation niedriger gekriegt“ und jetzt gehe es an „Bürokratieabbau und mehr öffentliche Investitionen“.

„Herr Scholz, bitte, Sie leben nicht in dieser Welt“, sagt Merz. „Was Sie hier erzählen, ist ein Märchenschloss. Es ist Wunschdenken. Wir sind im dritten Jahr der Rezession. Das hat es in Deutschland noch nie gegeben. 50.000 Unternehmen sind in Ihrer Amtszeit in die Insolvenz gegangen. Fast die Hälfte davon im letzten Jahr. Steigende Tendenz. Das ist Deindustrialisierung.“ Doch Scholz redet die Wirtschaft schön. Man habe 46 Millionen Erwerbstätige und damit eine „Grundlage, für Wachstum sorgen zu können“.

Richtig lustig wird es, als Scholz den Ukraine-Krieg aus der Aktentasche zieht: „Ich habe die Ukraine nicht überfallen. Ich habe die Gaslieferungen nicht eingestellt.“ Maischberger stöhnt dazwischen: „Herr Scholz!“ Aber der lässt sich nicht stoppen. „Ich habe nicht die Ursache dafür gesetzt, dass wir jetzt in dieser wirtschaftlichen Situation sind. Das war Putin!“

Der Zuschauer staunt, welche Wahrnehmung dieser Kanzler eigentlich hat. Und Merz sagt: „Ich bin einigermaßen erstaunt, welche Wahrnehmung Sie haben.“

Deutschland liege bei der wirtschaftlichen Entwicklung „auf dem letzten Platz aller europäischen Länder. Warum schalten Sie denn in der größten Energiekrise drei Atomkraftwerke ab? Auf so eine Schnapsidee wäre nun wirklich kein anderes Land gekommen.“

Doch Scholz hat bereits gerechnet: „Das hat mit der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands nullkommanullunullnullzwei Prozent zu tun. Also gar nichts mit den Dingen, über die wir hier tatsächlich reden.“ Außerdem: „Neue Kernkraftwerke kosten 40 Milliarden Euro!“

Egal, worum es an diesem Abend noch geht – ob Gaza oder Grönland, Mindestlohn oder Mietpreisbremse, Trump oder Taurus, Pflegeversicherung, Schuldenbremse oder Inflation – Scholz hat meist eine absurde Erklärung parat. Beispiel: „Hat die Ampel die Menschen ärmer gemacht?“, will Illner wissen. Scholz: „Nein, aber der russische Angriffskrieg.“

Mal kramt er die zerknitterte Fahne der alten Arbeiterpartei hervor, die sich für den kleinen Mann einsetzt. Und wedelt: „Wer drei Millionen verdient, kann ein bisschen mehr Steuern zahlen. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden.“ Dann wandelt er gemeinsam mit Merz auf den Spuren des Komikers Loriot. Wenn die beiden Kanzlerdarsteller sich gegen Ende der Sendung ein bisschen echauffieren, wirkt das Ganze wie Herr Dr. Klöbner und Herr Müller-Lüdenscheid in ihrer Badewanne. Die Ente bleibt drin! Und die AfD draußen!

Einmal bringt Scholz ungewollt die Sendung sehr schön auf den Punkt: „Was Sie hier vorgetragen haben, ist lächerlich. Ich bin dagegen, dass den Bürgern hier was vorgemacht wird, und das ist genau, was hier passiert.“


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