Eines muss man dem dramatisch abstürzenden Sender RTL lassen: Mit dem „Quadrell“ hat er den öffentlich-rechtlichen Polit-Sendungen gezeigt, wie es geht, wenn man will. Ganz einfach, ganz ohne durchgecastetes Publikum und vorab feingesiebte pseudo-zufällige Fragesteller. Ganz einfach mit zwei Moderatoren und vier Kanzlerkandidaten. Die Moderatoren sitzen, die Gäste müssen stehen. Der Rest ist Inhalt.
Der ganze Rest? Nein. Ein kleiner Kanzlerkandidat weigert sich standhaft, die Fakten-Dicke zu halten: Robert Habeck, der allen Ernstes für die Grünen als Kanzlerkandidat antritt. Bei einem Habeck ist der ganze Rest selbstverständlich weniger Inhalt als vielmehr offensives Grübeln, Stammeln und Wohlfühl-Murmeln. Seinen manierierten Habitus treibt er an diesem Abend allerdings derart auf die Spitze, dass er bisweilen wie ein Literat auf Dope wirkt. Und so viel wissen wir aus jüngsten Leseproben: Ein Literat ist er nicht.
Von Habeck kommen beeindruckende Sätze wie: „Ich empfehle den Faktencheck. Die erneuerbaren Energien machen den Strom günstiger.“ Oder auch: „Die billige Energie aus Russland, die hat Putin abgestellt. Das hat uns die Energiepreise versaut und hoch gemacht.“ Politik in einfacher Sprache.
Doch auch der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kann beeindruckende Sätze. Beispiel Thema Migrationskrise und Abschiebung: „Wir haben ja einen Abschiebeflug organisiert. Ein ganzer Abschiebeflug hat stattgefunden.“ Das meint er nicht als Witz oder satirisch oder irgendwie negativ. Nein, er will damit prahlen. „Ein ganzer Abschiebeflug hat stattgefunden.“ Der Zuschauer sitzt fassungslos vor dem Schirm. CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz setzt den Kontext: „In vier Tagen kommen so viele, wie in einem Monat abgeschoben werden. Die deutsche Bundesregierung ist die einzige in Europa, die immer noch Flüchtlinge aus Afghanistan holt. Jetzt lesen wir heute in der Zeitung, dass die Bundesregierung das endlich mal stoppen will. Heute! Kurz vor der Bundestagswahl.“ Habeck hat es offenbar nicht so mit Zahlen und Fakten. Er wirft ein, es seien „ja nur ganz wenige“. Und die Plätze seien „reserviert für die, die unsere Alliierten waren“.
Alice Weidel, Co-Chefin der Alternative für Deutschland (AfD), blickt in die Zukunft: „Wir werden die illegale Migration stoppen.“ Sie hat auch etwas gegen die neudeutsche Umformuliereritis, die sich in den vergangenen Wochen breit macht. „Sie ist nicht irregulär, sondern sie ist illegal.“
Merz mäkelt: 300 Millionen Euro Entwicklungshilfe zahle Deutschland an die Taliban. „Warum machen wir das, ohne mit den Taliban darüber zu sprechen? Frau Baerbock weigert sich, diese Gespräche zu führen.“ Nicht das einzige Mal, dass er mit der AfD-Frau Weidel an diesem Abend auf einer Linie ist.
Die hat einen schweren Stand. Nicht ganz so schwer wie üblich bei ARD und ZDF, aber doch bemerkenswert. So muss sie beispielsweise minutenlang erklären, wie und wo sie amtlich gemeldet ist und wo sie Steuern zahlt, in Deutschland oder in der Schweiz. Günther Jauch nimmt sie geradezu ins Verhör. Als sie erklärt, dass sie ganz regulär und ausschließlich in Deutschland versteuert, macht sich allgemeine Enttäuschung breit. Nächstes Thema: Gauland, Ehrenvorsitzender der AfD, und sein Zitat von der Nazizeit als „Fliegenschiss“ der deutschen Geschichte. Wir lernen: Auch RTL ist sich nicht zu schade, mit uralten Kamellen aktuelle Punkte sammeln zu wollen.
Das gelingt allerdings nur mittelmäßig. Weidel empfiehlt, den Zitierten selbst einzuladen, und weist Scholz, der sich über Gauland geradezu in Rage redet, sauber in die Schranken: „Schauen Sie, Sie können mich hier heute Abend beleidigen, wie Sie wollen. Sie beleidigen damit Millionen von Wählern. Mich trifft das überhaupt nicht. Ich repräsentiere diese Stimmen nur. Schreiben Sie sich das bitte hinter Ihre Ohren.“
Es ist nicht das einzige Mal, dass Scholz sich eine Watsch’n holt an diesem Abend. Als er sich ein anderes Mal in die AfD-Frau verbeißt, haben die Moderatoren ihre liebe Müh’. „Lassen Sie mich doch nicht aufstehen!“, ruft Pina Atalay, nur, um eine Sekunde später ihr Pult zu verlassen: „Jetzt muss ich doch noch aufstehen.“ Sie stellt sich vor den gut einen Kopf kleineren Scholz und stoppt seinen Redefluss mit schierer, persönlicher Präsenz – so schlank und zierlich sie auch ist. Nicht gerade der beste Moment für ihn. Der Kanzler, ein alter, schwacher Mann.
Als sich Merz zur AfD äußern soll, greift Günther Jauch zu einem alten Zitat des CDU-Recken. „Wer sich eine Natter an den Hals holt, den beißt sie halt irgendwann tot.“ Merz sei 1,98m groß, sagt Jauch. „Wie hoch hängt die Natter denn schon an Ihrem Körper?“ Merz ist von so viel Privatfernseh-Chuzpe leicht überfordert: „Gar nicht, Herr Jauch!“, stammelt er. „Wir halten uns das weit vom Leib.“ Atalay setzt nach: Sogar die Amerikaner würden die CDU ermahnen, dass es keinen Grund für Brandmauern gebe. Daraufhin beweist Merz eindrücklich, dass er als Kanzler bei den Amerikanern wirklich schlechte Karten hätte. Denn er lässt sich zu dem Satz hinreißen: „Ich lasse mir doch nicht von einem amerikanischen Vizepräsidenten sagen, mit wem ich hier in Deutschland zu sprechen habe.“
Habeck setzt später sogar noch einen drauf: „Wir sind ja nicht hörig von Wahlempfehlungen von zweifelhaften Vizepräsidenten.“
So zerlegt sich die Runde fein säuberlich ohne weiteres Zutun. Während Weidel mit klaren Zahlen ihr Konzept für ein neues Deutschland ausbreitet, hacken die drei anderen wahlweise auf ihr oder – versehentlich – auf den anderen beiden herum. Merz kritisiert Habeck und Scholz: „Da stehen diese beiden, die die größte Wirtschaftskrise der deutschen Nachkriegsgeschichte zu verantworten haben.“ Scholz wirft ein: „Ich dachte immer, das wär‘ Putin.“ Auch diesen Satz meint er anscheinend ernst.
Weidel schaut amüsiert zu. Als zwischen Habeck und Merz der Streit entbrennt, geht es plötzlich um alles Mögliche, von Agrar-Diesel bis zu Nord-Korea. Weidel lacht. In Richtung Merz sagt sie: „Hier wird deutlich: So wird er seine Politik nicht umsetzen können. Das war hier ein Offenbarungseid.“ Und direkt an Merz: „Sie eiern hier rum um die Koalitionsfrage. Sagen Sie’s doch: Habeck soll Wirtschaftsminister werden, der unser Land ruiniert hat, der es deindustrialisiert. Sie werden es nie umsetzen können, und das wissen Sie auch. Damit täuschen Sie ihre Wähler.“ Die CDU „zementiere“ sich in linker Politik ein.
Habeck lässt noch irgendwas mit Putin fallen, passt ja irgendwie immer. Und Merz lächelt so honigkuchenpferdchen-eingefroren, als sei er gerade von einem legendären Comic-Zeichner wie Don Martin (Mad) oder Gerhard Seyfried als Grinse-August verewigt worden. Sein Wahlkampfmanager beißt derweil hart ins Kissen.
Ein paar Habeck-Zitate sind so schön – man muss sie einfach für die Nachwelt erhalten:
Zur Wirtschaft: „Aufhören rumzuheulen. Zuversicht ist Arbeit an der Hoffnung.“
Zur Migration: „Die Debatte, sie krankt daran, dass die Menschen ja nunmal hier sind.“ (Ob Merkel dafür Tantiemen fordert, wird sich zeigen)
Zu Alice Weidel: „Sie haben es immer noch nicht verstanden. Sie haben ja kein intellektuelles Problem, weil sie sich Putin unterwerfen würden.“
Ein Scholz-Bullshit-Bingo haben wir auch. Bitteschön:
„Wir müssen dafür sorgen, dass die Energiepreise unten sind.“
„Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auch in Zukunft stabile Renten haben werden.“ (Ob Norbert Blüm dafür Tantiemen verlangt – ebenfalls offen)
Und ein Merz-Bingo, weil es so schön ist:
„Diese Wirtschaftspolitik wird nicht fortgesetzt. Punkt. Herr Jauch.“
„Wir müssen die Bremsen lösen, wir müssen die Fenster öffnen.“
Bei Weidel geht Scholz komplett auf Kurs Aggro. Er redet sich in Fahrt: „Sie wollen Kohle und Gas auf Staatskosten einkaufen. Das nenn’ ich mal ’n Konzept. Super Konzept. Großartig ausgedacht. Ganz toll. Sie machen heiße Luft. Sie reden nur rum.“ Weidel kontert trocken: „Sie reden rum. Vor allem waren Sie drei Jahre lang in der Regierung. Und Sie haben Politik gegen die Bevölkerung gemacht.“
Was bei Scholz auffällt: Er lobt auffällig und wiederholt die Europäische Zentralbank, wie er es schon in den vergangenen Wochen getan hat. Sie habe „richtigerweise die Zinsen erhöht“. Steht da etwa irgendein Posten in Aussicht für die Zeit nach seiner Kanzler-„Karriere“?
Jauch spricht ihn derweil eiskalt auf seinen Cum-Ex-Gedächtnisverlust an. Scholz versucht, es abprallen zu lassen. Es sei kein Gedächtnisverlust. Er habe gesagt, was er weiß. Doch Merz dreht das Messer in der Wunde nochmal ganz langsam weiter: „Aber den Gedächtnisverlust, den können Sie doch nicht bestreiten.“ Scholz kleinlaut: „Ich sage immer nur, was ich erinner’.“
Der Höhepunkt der Sendung kommt so ziemlich zum Schluss: Merz wird nach seinen möglichen Koalitionspartnern gefragt. Die AfD schließt er aus, an die FDP glaubt er nicht, aber mit Grünen und SPD werde man verhandeln. Habeck bestätigt, Scholz wird gar nicht mehr gefragt. „Mit einem Wirtschaftsminister Habeck werden Sie Ihr Programm nicht umsetzen können“, bilanziert Weidel, unwidersprechbar. Es ist ein Volltreffer Schiffsmitte, Langer Kreuzer Merz schlingert seinem Schicksal entgegen.
Als Habeck gefragt wird, ob er denn „zum Wohle des Landes“ abtreten würde, um die Grünen noch attraktiver für die CDU zu machen, fragt er: „Was ist denn das für ’ne komische Frage?“ Jauch und Atalay antworten im Chor: „Wieso ist die komisch? Ist doch berechtigt.“ Jauch ergänzt: „Wenn es von der CSU heißt, dass Sie der entscheidende Problembär sind …“
Für einen Habeck klingt diese Existenzfrage völlig absurd: „Sie können mit aller Liebe nicht das Problem der Union auf mich übertragen. Das Problem Markus Söder hat Herr Merz allein.“
Am Bundeszähltag am 23. Februar wird sich zeigen, wer welches Problem hat.
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