Die klügsten Sätze an diesem Abend kommen von einem Mann, den man sonst als Sprecher in den Abendnachrichten kennt. Tagesschau-Mann und Buchautor Constantin Schreiber stellt gleich zu Beginn fest, dass die aktuelle politische Entwicklung nicht unbedingt nur negativ gesehen werden müsse. Es „ist ja gute Demokratie“, sagt er, denn „wir haben uns an Politik gewöhnt, die möglichst nebulös und wolkig blieb“. Das ist jetzt erkennbar anders. Was genau er damit meint, wird er später noch konkretisieren. Und selbst Christoph Schwennicke – Vize-Chef beim regierungstreuen Ströer-Sender „t-online“, freut sich, dass jetzt der „Stehblues“ endlich vorbei sei. Die von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz geplante Eindämmung der illegalen Migration sei momentan allerdings „faktisch nicht durchsetzbar“, weil der Bundesrat sie blockieren werde.
Das Attentat von Aschaffenburg scheint mehr und mehr zum Wendepunkt in der Migrationspolitik zu werden. Und weil die CDU mit ihrer Brandmauer zur AfD, die immer mal kurz eingerissen und eilig wieder aufgebaut wird, den Wähler verwirrt, könnte die Entwicklung „auf die AfD einzahlen, weil da gibt es diese Konfliktzonen gerade nicht“, stellt Schreiber fest.
Das Wort Remigration wird an diesem Abend tunlichst vermieden und gebührend gegeißelt, auch wenn selbst Kanzler Scholz es höchselbst in einem englischsprachigen Interview verwendet hat (das interessanterweise nicht mehr im Netz zu finden ist…) und auch wenn Städte wie Rostock sogar offizielle „Referate für Remigration“ hatten (die nach der Brandmarkung eilig einen neuen Namen bekamen und ebenfalls im Netz gelöscht zu sein scheinen). Jetzt ist Remigration „ein ekelhaftes, zynisches Wort“ (Schwennicke). Gute Schlagworte stattdessen: „demokratische Parteien“ und „Demokraten“, beides wird an diesem Abend auffallend häufig verwendet. Oder auch gleich „Bollwerk gegen die AfD“, wie Markus Söder seine Partei nennt.
Der CSU-Chef aus Bayern hat seine liebe Müh mit der Moderatorin. Maischberger quasselt auf die ihr eigene Art ständig rein, unterbricht, murmelt im Hintergrund und wirft klaren, ausformulierten Antworten oft ihre Stakkato-Stöckchen in die Speichen.
Warum der Attentäter von Aschaffenburg eigentlich noch frei herumgelaufen sei, will sie wissen. Zumal Söder doch in Bayern ein eigenes Landesamt für Asyl gegründet habe und schneller habe abschieben wollen als der Bund. Söder schwächelt, spult eigene Erfolge herunter: „Wir haben die Abschiebezahlen in einem Jahr um 30 Prozent erhöht.“ Maischberger: „Aber der war nicht dabei. Söder: „Wir haben die höchste Abschiebezahl im Jahresmittel.“ Maischberger nochmal: „Aber der war nicht dabei.“ Söder „Wir haben im letzten Jahr elf Initiativen im Bundesrat gestellt nichts ist passiert. Die Versäumnisse sind lang, und warum: Die FDP wollte das, die SPD wackelte, und die Grünen haben es in der Regel verhindert.“ Die Zahl der Gewalttaten und Messerattacken wachse stetig, so Söder, und unter den Tätern finde sich ein höherer Anteil an Migranten, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil. Für diesen Satz hätte es noch vor wenigen Wochen eine Hausdurchsuchung gegeben.
Die ständigen Unterbrechungen gehen Söder erkennbar auf den Geist. „Ich verstehe ja Ihre Argumentation, ich verstehe auch das Nachhaken, das Dazwischengehen ständig…“, sagt er – „Na! Es ist wichtig, Herr Söder!“, unterbricht Maischberger prompt – Söder: „Ja, natürlich ist es wichtig, uns ja auch. Glauben Sie denn im Ernst, dass wir mit Leuten, die einen Höcke und andere in ihren Reihen haben, dass wir mit denen zusammenarbeiten wollen?“
Maischberger will Söder mit sieben Jahre alten Aussagen zur AfD düpieren. Er holt sie in die Realität zurück und erinnert an Aschaffenburg: „Frau Maischberger, ein Kind ist ermordet worden!“ Maischberger unterbricht: „Ja, Herr Söder, die Frage ist…“ Söder: „Darf ich jetzt einen Satz, nur einen kleinen Satz? Einmal?“ Maischberger muffelt: „Auch ’nen langen“. Söder: „Nee, die Hoffnung hab ich nicht. Ein Kind ist ermordet worden. Und Sie diskutieren mit mir jetzt ernsthaft über das Jahr 2018?!“
Söder will klare Kante. Auf welche Parteien-Konstellation das hinausläuft, ist eindeutig. Aber eben böse. Das alte Spiel. „Wir müssen uns doch endlich wehren in unserem Land. Wir können doch nicht Monat für Monat so einem Ereignis zusehen und dann solche Elfenbeinturmdebatten führen“, sagt Söder. Schwarzgrün führe „dazu dass die AfD stärker wird“ und Scholz „lächelt immer wie ein Schlumpf“. Aber die SPD werde sich „nach der Wahl verändern, personell und inhaltlich. Bei den Grünen bleibt alles gleich. Das bleibt das alte Robby-Team“. Mit Habeck würde er sich höchstens gern mal „weit entfernt zuwinken, ich auf der Bundesratsbank, er auf der Oppositionsbank“.
Sänger Howard Carpendale stellt dem Land kein gutes Zeugnis aus: „Ich habe Deutschland immer als sehr innovativ gesehen. Und das ist weg. Das ist ein ganz anderes Land. Die sind keine Player mehr.“ Bei den Wahlen sehe er nur Kandidaten, die man alle durchweg nicht haben wolle. Carpendale: „Man muss schon sehr viel Mut haben, im Moment optimistisch zu reden.“
Deine Spuren im Sand,
die ich gestern noch fand,
hat die Flut mitgenommen.
…
Was ist mir nur geblieben?
Nur die Sehnsucht nach Dir.
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