Sigmar Gabriel, eigentlich Sozialdemokrat und früher sogar Chef seiner Partei, singt aus unerfindlichen Gründen ein Hohelied auf „Die Linke“. Der Ex-Außenminister möchte nicht, dass man sie zusammen mit der AfD in einem Atemzug als Wahlgewinner nennt. Das gehe ihm „gegen den Strich“. Und er führt ein geradezu irres Argument an: Die AfD sei nämlich „eine in großen Teilen verfassungsfeindliche Partei“. Fakten kann er für diese Aussage freilich nicht beibringen. Muss er auch nicht. Denn niemand widerspricht, niemand hakt nach. Das Problem: Wäre in Gabriels kühner Behauptung nur ein Funken Wahrheit, dann wäre die AfD längst verboten.
Genossen sind Genossen
Die Linkspartei hingegen sei „längst nicht mehr die SED-Nachfolgeorganisation“, behauptet Gabriel. Die nächste Falschbehauptung, denn de facto ist sie genau dies. Und bis heute weiß niemand genau, wohin die mehr als drei Milliarden Mark Parteivermögen der ehemaligen DDR-Mauerschützenpartei irgendwie versickert sind. „Ich würde die ungern in den gleichen Topf packen.“ Sagt ausgerechnet der Vorsitzende der Atlantik-Brücke, die eigentlich einen veritablen Endgegner für die linke Ami-go-Home-Fraktion darstellt. Darauf muss man auch erstmal kommen.
Armin Laschet versucht gegenzuhalten. Der ehemalige CDU-Kanzlerkandidat kritisiert „die komplette Empathielosigkeit der Linken gegenüber dem, was die Ukraine erleidet“. Aber Gabriel setzt noch einen drauf: Die Linke sei clean, denn „die Irren aus der Linkspartei“ seien ja „beim BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) gelandet“.
Gabriel ist nicht der einzige Extremfall an diesem Talkabend. Schon zuvor präsentiert Giovanni di Lorenzo eine echte „Geschichte aus dem Paulanergarten“. Doch er macht es sehr geschickt. Er sagt nichts Falsches. Das Perfide an seiner Erzählung ist, dass sie die eigentliche Story ins komplette Gegenteil verdreht. Seine haarsträubende Geschichte, die ihm angeblich eine Altenpflegerin erzählt und die ihn „zutiefst berührt“ hat, geht so: Da gab es in einer Halle nahe Hamburg „eine AfD-Versammlung und davor viele Demonstranten“. Das Ganze habe in der Nähe eines Altenheims stattgefunden, und das Pflegepersonal habe „diese armen Alten beruhigen“ müssen, „zum Teil auch mit Medikamenten“. Grund: „Weil die Angst hatten, es geht wieder los. Und damit meinte sie Hitler.“
Anders rum wird ein Schuh draus
Was fällt auf? Der Grund für die Angst der alten Menschen war höchst wahrscheinlich nicht die Veranstaltung der AfD in der Halle, sondern die laute Gegendemonstration auf der Straße davor. Dort dürften sich die üblichen Verdächtigen versammelt haben, von den staatlich durchgefütterten „Omas gegen Rechts“ bis zu den gewaltbereiten Chaoten der ebenfalls staatlich üppig unterstützen Antifa. Vor allem die vermummten linken Schlägerbanden könnten also der Grund für die Aufregung gewesen sein, wenn es sie denn gab. Doch das alles versteckt di Lorenzo in der Formulierung „und davor viele Demonstranten“. Was bleibt und was auch die Runde weiter diskutiert, ist einzig die namentlich erwähnte AfD. Perfide. Aber di Lorenzo weiß als Journalist nun einmal genau, wie man mit Sprache umgeht.
Kerstin Palzer dreht dieses Rad weiter. Die Korrespondentin aus dem ARD-Hauptstadtstudio hat in die Provinz geschaut und erschrocken festgestellt: Wir haben sogar schon Gelsenkirchen an die AfD verloren, den Inbegriff der spießigen Kleinbürgerlichkeit und vermeintlichen Normalität. Palzer warnt, das werde sicher so weitergehen. Denn die AfD, die in vielen ostdeutschen Wahlbezirken gerade stärkste Kraft geworden ist, hat Palzer für sich selbst bereits bis zum Endlevel durchgespielt: „Der Westen wird dem Osten da nachfolgen, wenn wir nicht politisch umsteuern.“ Und es würde sie „beunruhigen und ängstlich machen, was da für Menschen jetzt in den Bundestag einziehen“.
Ansonsten wird an diesem Abend ein gewisser Friedrich Merz genüsslich zerpflückt. Der Sieg des CDU-Kanzlerkandidaten sei „kein wirklicher Erfolg“ gewesen (Palzer), Merz „verwechselt vielleicht eine Kanzlerschaft mit dem Dasein als Konzernchef“ (Christoph Schwennicke, „t-online“), und sei sowieso „der perfekte Wahlhelfer für die Linke“ gewesen (Palzer). Di Lorenzo kritisiert Merz für seine sich ständig widersprechenden Aussagen: „Man muss doch politisches Handeln und auch Äußerungen vom Ende her denken.“
Nur einer findet Merz richtig knorke: Klitschko, der Jüngere. Wladimir Klitschko tritt bei Maischberger zum Einzelinterview an und sagt: „Ich glaube, dass er ein großartiger Kanzler sein kann. Aber ich kann nur sagen, dass ich es glaube. Glaube heißt nicht Wissen.“
Klitschko, ehemaliger Profiboxer, glaubt auch, dass Europa eine großartige Zukunft bevorsteht, wenn es sich nur zusammenreißt. „Eine halbe Milliarde Menschen“, ruft er. „Wir haben Wirtschaft, wir haben Technologie, wir haben alles, um auf Augenhöhe mit den Amerikanern zu sein.“ Dass die Ukraine dabei ganz vorn mitspielen wird, steht für ihn außer Frage: „Wir sind Europa, und wir sind eine Einheit.“
Beim Verhältnis Europa-USA zieht Klitschko Parallelen zu sich und seinem Bruder Vitali. Auch er selbst habe gelernt, sich nicht immer nur am größeren Bruder zu orientieren, sondern „irgendwann auf sich selbst aufzupassen“. Das müsse Europa nun auch.
Das hat Sigmar Gabriel zuvor noch entschieden anders beurteilt: „Ich bin nicht der Überzeugung, dass Europa per se zusammenhält. Es gibt Staaten, die eine Dekonstruktion Europas im Kopf haben. Und das ist nicht nur Viktor Orbán. Das Einzige, was denen fehlt, ist ein Anführer.“
Zum neuen Anführer aus dem Westen hat Klitschko wiederum eine erstaunlich entspannte Meinung. „Trump hat auch etwas Gutes in sich. Mit seinen Vorstellungen liegt er nicht so falsch.“ Die Inhalte des Friedenspapiers, das zurzeit offenbar ausgearbeitet wird, kenne er selbstverständlich nicht, aber „es könnte profitabel und ein Gewinn für die Ukraine sein“. Der US-Präsident wolle schließlich „einen Deal haben – Trump ist Trump“, sagt Klitschko leicht schmunzelnd. Dass jedoch nur über die Ukraine gesprochen wird und nicht mit ihr, „das kann nicht sein“. Mit der neuen US-Regierung hoffe er „auf mehr Unterstützung“.
Vor allem auf die seit Jahren wiederholten Parolen erntet Klitschko vom Publikum viel Applaus (der die ganze Sendung über bisweilen recht unnatürlich abrupt endet, aber das nur als kleine Randbeobachtung). Auch einen Nato-Beitritt der Ukraine fände der mehrfache Box-Weltmeister gut: „Ich glaube, dass die Nato schwächer ist ohne die Ukraine. Wir kennen moderne Kriegsführung.“