Ehrgeiz haben die Politiker der Grünen. Als Mitglieder einer Regierung sind sie eindrucksvoll gescheitert. Trotz der ernüchternden Bilanz haben sie den wohl erfolglosesten Minister, verantwortlich für die leidende Wirtschaft, zum Kanzlerkandidaten gemacht. Einer aus dem ministeriellen Kreis wird sich dagegen wohl verdrücken. Cem Özdemir, seit Dezember 2021 Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), hat den Ehrgeiz, Ministerpräsident zu werden, um sich künftig mehr mit Maultaschen und Spätzle, statt mit einer nationalen Ernährungsstrategie zu beschäftigen. Ein Lichtblick nicht nur für die deutsche Esskultur.
Die zurückliegende Politik des BMEL war ein Musterbeispiel für Grünen-Paternalismus. Özdemir hat sich als Volkserzieher verstanden. Mit Geboten, Verboten und sogar dem Plan einer Einschränkung von Kommunikationsfreiheiten hat er eine Strategie verfolgt, die von der Landwirtschaft über die Lebensmittelproduzenten und den Handel bis hin zu den betroffenen Menschen auf wenig Begeisterung gestoßen ist. Gefallen hat sie eher Ideologen, Aktivisten und den NGOs, die dem Minister die Agenda vorgegeben haben, an der sie verdienen.
Das BMEL wurde für eine ideologiegetriebene Ernährungspolitik vorbereitet. An zentralen Stellen bis hin zu den Abteilungsleitungen sind ehemalige NGO-Vertreter installiert worden. Der erfolgreiche Marsch in die Institutionen. Forderungen, mit denen diese Aktivisten die Politik früher lobbyistisch konfrontiert und vor sich hergetrieben haben, konnten sie jetzt mit politischem Nachdruck selbst umsetzen.
Die zunächst lautlos und von den Medien unbeobachtet gebliebene Definition einer neuen Ernährungsstrategie für die deutschen Verbraucher sollte massiv in deren Freiheitsrechte eingreifen. Einmal mehr zeichnete sich die Gefahr ab, dass die Agenda politischer Themen von Minderheiten geprägt wird, die den eigenmächtig behaupteten Anspruch haben, die Menschen nach ihren jeweiligen ideologischen Vorstellungen gesünder und die Welt besser machen zu wollen.
Grüne Hybris erzieht das Volk
Die heutigen Strategen der Grünen sind, da sie inzwischen die Positionen dazu haben respektive hatten, viel effektiver in der Durchsetzung von Macht, als man hätte glauben oder befürchten können. Während in Philosophie und Staatstheorie über harten und milden sowie über starken und schwachen Paternalismus diskutiert wird, entwickeln die Grünen mit der ihnen eigenen Hybris einen grünen Paternalismus. Dieser beschneidet massiv Freiheiten. Das Leitbild des starken Bürgers, der sich informiert, seine Interessen artikuliert und verantwortungsbewusst handelt, wird gezielt der Fürsorge durch den regulierenden Staat geopfert.
Wirtschaftspolitik wurde während der Ampelphase in Deutschland nicht mit der Wirtschaft, sondern gegen die Wirtschaft gemacht. Der angerichtete Schaden ist erheblich. Nach dem gleichen Muster fand eine Politik gegen Landwirte, Nahrungsmittelproduzenten und Verbraucher statt. Bei der Erarbeitung der Ernährungsstrategie hat das BMEL von einem grundsätzlich partizipativen, transparenten und ergebnisoffenen Prozess gesprochen. Die Realität sah anders aus. Das Ergebnis, nämlich die Priorisierung pflanzenbetonter Ernährung, war bereits definiert.
Aus einer Show-Diskussion des BMEL ist der Lebensmittelverband Deutschland sogar unter Protest ausgetreten. Man wollte nicht das Alibi für die Ideologie eines angeblichen Nationalen Dialogs zum Ernährungsgipfel werden. Partizipiert haben dagegen an der BMEL-Veranstaltung alle, die sich schon einmal mehr oder weniger lautstark im Kontext Ernährung positioniert hatten. Und transparent wurde vor allem die Inkompetenz, mit der eine notwendige Sachdiskussion geführt wurde.
Ideologie statt Fakten
Ideologie sollte Fakten ersetzen. Es gibt keine evidenzbasierten Erkenntnisse zur Beurteilung einzelner Lebensmittel oder Lebensmittelgruppen, die der Minister auf den Index setzen wollte. Zudem ist es nicht Aufgabe des Staates, das individuelle Gewichtsrisiko einzelner durch Reglementierung des individuellen Lebensstils vieler zu eliminieren. Und das war die ideologisch getriebene Absicht. Die Deutschen sollten ein vegetarisch ernährtes Volk werden, am besten sogar vegan. Die Hersteller von Lebensmittel sollten nach staatlichen Vorgaben ihre Rezepturen ändern. Die Verbraucher sollten mit Strafsteuern zu einem politisch gewollten Konsumverhalten erzogen werden.
Zum Finale seiner Ernährungspädagogik verstieg sich der Küchenchef der Nation sogar zu einem Projekt, das weniger an den Geschmacksnerven, sondern am freiheitlichen Nerv der Verfassungsrichter gescheitert wäre. Werbung und Marketing für unliebsame Produkte sollte verboten werden. Man war der durch keine validen Erkenntnisse gestützten Meinung, dass Werbung dick macht. Mit einem neuen Gesetz wollte Özdemir die Bürger vor missliebigen Produkten, vor verführerischen Verpackungen und vor angeblich ungesunder Werbung schützen. Das beschneidet unternehmerische Freiheiten und entmündigt zugleich die Verbraucher durch Maßnahmen, die als Konsumsteuerung charakterisiert werden können. So sollten gesetzliche Regelungen initiiert werden, denen ein unternehmensfeindliches Denken zugrunde liegt, und die dazu dienen sollen, Unternehmer und Unternehmen unter staatliche Kontrolle zu bringen.
Hier wurden massive Einschränkungen von besonders geschützten Kommunikationsfreiheiten und der Wirtschaftsfreiheit geprobt. Diese ideologisch basierten Eingriffe, die ganz in der Tradition langjähriger NGO-Agitation stehen, liefern keine belastbaren Anhaltspunkte oder Wirksamkeitsbelege. Für diese massiven Eingriffe in die Grundrechte bieten zudem weder das Grundgesetz noch das Europarecht eine Basis.
Bei den politischen Vorhaben des BMEL war immer wieder zu fragen: Verfolgen die Mittel legitime Zwecke und greifen sie in geschützte Rechtspositionen ein? Sind die Maßnahmen an sich geeignet? Sind die Maßnahmen erforderlich und angemessen oder verstoßen sie gegen das Übermaßverbot? Sind die Maßnahmen bei Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile verhältnismäßig? Da grundlegende Fragen mit einem Nein zu beantworten waren, haben es viele der von Özdemir geplanten Maßnahmen der Volkserziehung noch nicht einmal bis ins Kabinett geschafft. Man mag das als Lichtblick für Reste der Vernunft sehen.
Werbung macht nicht dick. Die dagegen durch eine Fülle von wissenschaftlichen Studien belegte Erkenntnis, dass Bewegungsmangel durch den inaktiven Lebensstil ein entscheidender Faktor ist, wurde als Schutzbehauptung der Ernährungswirtschaft abgetan. Hier hätte der Minister durch Aufklärung und Programme zur Aktivierung seinen Job machen können. Wie die Realität in Deutschland aussieht, zeigt eine Studie der Institute für Sportwissenschaft an den Universitäten Köln und Würzburg. Die im Sitzen verbrachte Zeit steigt kontinuierlich an. Aktuell sitzt jeder Deutsche täglich rund 9,2 Stunden. Jüngere Menschen im Alter von 18 bis 19 Jahren bringen es sogar auf über zehn Stunden Sitzen pro Tag. Was diese Ruhestellung mit körperlicher Vitalität und Kalorienverbrauch macht, muss nicht detailliert erläutert werden. Das sollte auch ein ideologisch getriebener Grüner verstehen.
Dialog statt Ideologie und Öko-Aktivismus
In einer neuen Regierung, wie auch immer diese nach der Wahl und den Koalitionsverhandlungen aussehen mag, sollte das BMEL nicht in den Herrschaftsbereich der Grünen fallen. Die naive Annahme, dass deren Politiker ihre Projekte am Wohlergehen der Menschen orientieren, ist ein Irrtum. Die zurückliegenden Jahre haben es eindrucksvoll gezeigt. Die Grüne BMEL-Politik während der Ampelphase fand in einer abgehobenen Blase statt, in der versucht wurde, Erziehungsfantasien in die Realität umzusetzen. Es ist es notwendig, dass die Ernährungspolitik aus der bisherigen Fokussierung auf Ideologie und Öko-Aktivismus herauskommt. Es wird eine neue Ernährungspolitik zum Wohl der Menschen benötigt. Ein wichtiger Leitsatz lautet: Dialog statt Ideologie.
Es geht nicht um eine Umerziehung der Konsumenten, sondern um einen Dialog mit Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft, der den Konsumenten akzeptable Lösungen bietet. In diesem Bereich sollte die Politik für weniger statt für mehr Staat eintreten. So wie die Wirtschaft weniger Bürokratie braucht, um effizient arbeiten zu können, wird in der Ernährungspolitik weniger Ideologie benötigt, damit es den Konsumenten schmeckt. Wir brauchen Rahmenbedingungen für „gute Ernährung“. Gute Ernährung in Kombination mit einem sinnvollen Lebensstil löst viele Probleme, die von der bisher durch Ideologie getriebenen Politik in keiner Weise gelöst worden sind. Volkspädagogik, Vorschriften für politisch korrekte Nahrung, verfassungsrechtlich fragwürdige Gesetze und radikale Beschneidungen von Freiheit haben sich als ein Irrweg gezeigt.
Ideologisch motivierte Politik wird auch die Herausforderungen an die Zukunft der Ernährung blockieren. Pauschal werden verarbeitete Lebensmittel als gesundheitliche Risiken diskriminiert. Die WHO, eine Organisation ohne Kompetenz in Ernährungsfragen, dafür aber als korrupter Verein überführt, behauptet sogar, solche Lebensmittel wären tödlich. Die Eminenzen der Organisation fordern, dass der „schädliche Einfluss der kommerziellen Industrie“ transparent gemacht werden muss. Ein solches Denken müsste in einem BMEL zu massiver Entrüstung führen. Sympathisanten werden nicht gebraucht. Die innovative Verarbeitung von Lebensmitteln ist bei unvoreingenommener Betrachtung dagegen die Voraussetzung, um Herausforderungen wie Ressourcen-Management, Nachhaltigkeit, Abfall-Vermeidung oder Tierwohl bewältigen zu können. Wir brauchen Pragmatiker statt Ideologen.
Detlef Brendel ist Wirtschaftspublizist.