Tichys Einblick
Lebensschutz

Warum es kein Menschenrecht auf Abtreibung geben kann

Mit „Mehr als ein Zellhaufen“ hat die Psychologin Sabina Scherer eine der besten Verteidigungen des Lebensrechts ungeborener Kinder vorgelegt, die es je gab. Von Stefan Rehder

Um es gleich vorwegzunehmen: „Mehr als ein Zellhaufen – Wie wir konstruktiv über Abtreibung sprechen können“ ist ein Meisterwerk. Seine Verfasserin, Sabina Scherer, geboren 1990, ist Psychologin. Während ihrer Elternzeit startete sie den Podcast „Ein Zellhaufen spricht über Abtreibung“. Dessen Erfolg bescherte ihr eine Einladung in die ZDF-Sendung „13 Fragen“, in der sie ebenfalls bestach. Nun schreibt „der Zellhaufen“ auch noch. Und wie: Klar, kompetent, mit bestechender Logik und gleichwohl empathisch. Konstruktiv statt destruktiv, wertschätzend statt verurteilend.

Gegliedert ist „Mehr als ein Zellhaufen – Wie wir konstruktiv über Abtreibung sprechen können“ in drei Teile. Der erste und umfangreichste stellt in 14 Kapiteln die wichtigsten Argumente von Abtreibungsbefürwortern vor und widerlegt sie. Diskutiert werden dabei Fragestellungen wie die, ob der Embryo (zunächst biologisch und später auch philosophisch) als Mensch betrachtet werden muss, wie sich das „Recht auf Leben“ und das „Recht auf Selbstbestimmung“ zueinander verhalten und warum es kein „Menschenrecht“ auf Abtreibung geben kann.

Oft geht es dabei jeweils nur um ein einziges Argument. Ab und an steht ein solches Argument aber auch stellvertretend für eine ganze Reihe ähnlich gelagerter, worauf Scherer, so etwa bei ihrer Widerlegung der sogenannten „Ha – erwischt!“-Argumente oder auch der Zurückweisung von „Ad-hominem“-Argumenten, dann auch hinweist. Am Ende jedes Kapitels gibt es eine „Kurz und knapp“ genannte Zusammenfassung der wichtigsten Punkte.

Vorerst keine Gesetzesänderung
Legalisierung von Abtreibung vorerst gescheitert: Sachverständige uneins
Besondern hilfreich sind auch die Erläuterungen der Psychologin zur Studienlage über die „möglichen psychischen Folgen von Abtreibung“. Dabei stutzt Scherer nicht nur die Ergebnisse der von Abtreibungsbefürwortern ins Feld geführten „Turnaway-Studie“ zurecht und erläutert ausführlich den oftmals übersehenen oder zumindest nicht ausreichend berücksichtigten Unterschied zwischen „Korrelation“ und „Kausalität“.

Lockere Sprache, klare Argumente

Diskutiert wird auch das von vielen Lebensrechtlern lange Zeit für wissenschaftlich belegt gehaltene „Post-Abortion-Syndrom“ (PAS), eine Art posttraumatischer Belastungsstörung. Nach Ansicht der Autorin ist jedoch „die Debatte um die Existenz oder Nicht-Existenz von PAS nicht zielführend.“ Sie fragt: „Welchen Gewinn bringt es festzulegen, ob wir ein Konglomerat von Symptomen als Syndrom definieren oder nicht?“ Fest stehe: „Es gibt Frauen, die nach einer Abtreibung leiden.“ Fest stehe allerdings auch: „Nicht alle tun es.“ Auch über die Gründe lasse sich streiten: „Ist der Ursprung des Leidens die Abtreibung selbst, wie man meist von Abtreibungskritikern hört? Oder liegt es doch eher am zugrunde liegenden Schwangerschaftskonflikt, an der wahrgenommenen Stigmatisierung und der mangelnden Unterstützung der Betroffenen? Und wenn wir überhaupt eine Antwort darauf finden können – welche Schlüsse ziehen wir daraus?“

Um die prinzipielle Begrenztheit der Reichweite von Argumenten zu wissen, mehr noch, sie von Fall zu Fall genau bestimmen zu können und dies bei der Argumentation zu beachten, statt sich von Vorurteilen und Wunschdenken zu voreiligen Schlüssen verleiten zu lassen, macht gute Wissenschaft aus. Scherer versteht sich darauf meisterhaft. Trotz der allgemeinverständlichen, eher lockeren Sprache, die auch Anglizismen aufnimmt, überdehnt sie an keiner Stelle die Reichweite ihrer Argumente.

Feminismus und Lebensschutz kein Widerspruch

Besondere Beachtung verdient auch das Kapitel, in dem Scherer erläutert, wie „Feminismus“ und „Lebensschutz“ zusammenpassen. Mit seinen rund 20 Seiten ist dieses nicht nur eines der umfangreichsten des Buches, es bringt seine Verfasserin den Lesern auch persönlich näher. So verrät Scherer dort: „je länger ich darüber reflektierte, was mich bewegt und wofür ich stehe, desto klarer wurde mir, dass die Grundprinzipien des Feminismus genau das sind, was mich antreibt. In den USA ist der Pro-Life-Feminismus eine etablierte Subgruppe innerhalb der Pro-Life-Bewegung, die sich in vielen anderen Punkten von den ,typischen‘ Ansichten konservativer Amerikaner abhebt. Mit Fokus auf den Schutz der Ungeborenen ist es ihr Anliegen, Meinungsvielfalt innerhalb des Lebensschutzes abzubilden und anzuprangern, wo Missstände innerhalb und außerhalb der Bewegung stattfinden. Diese Prinzipien braucht es auch im deutschen Sprachraum.“

Moderner Menschenhandel unserer Zeit
Kinder als Produkt, Frauen als Brutkasten
Es verwundert dann auch gar nicht, dass Scherer im zweiten Teil („What not to say“) des Buches die „weniger hilfreichen Argumente“ in den Blick nimmt, mit denen Abtreibungsgegner regelmäßig Schiffbruch erleiden. Hier räumt die Autorin nicht nur mit „Schuldzuweisungen und Pauschalisierungen“ auf, die sie als „No-Go“ betrachtet. Unter der Überschrift „Abtreibung ist Sünde“, erklärt die praktizierende Katholikin auch, warum der Rückgriff auf den Glauben in der Debatte um das Recht auf Leben ungeborener Menschen weder erforderlich noch sonderlich hilfreich ist.

Der dritte und letzte Teil („Wo stehen wir? Wo wollen wir hin?“) ist mindestens so visionär wie analytisch. In ihm unternimmt Scherer zunächst eine Standortbestimmung und formuliert sodann einige Ziele sowie Handlungsempfehlungen, wie diese zu erreichen seien.

Respekt gegenüber dem diskursiven Gegner

Was „Mehr als ein Zellhaufen – Wie wir konstruktiv über Abtreibung sprechen können“ zu einem Meisterwerk macht, ist nicht allein die beeindruckende Stringenz der Gedankenführung. Genauso wichtig ist der „Sound“, mit dem sie auf Papier gebannt wird.

Um wie Scherer denken und schreiben zu können, muss ein Autor Dinge zusammenbringen, die nur sehr selten Hand in Hand angetroffen werden. Er muss über einen widerspruchsfrei arbeitenden Denkapparat verfügen. Mit ihm darf er den „Gegner“ jedoch nicht argumentativ vernichten oder aus dem Feld schlagen wollen. Er muss auch ein Menschenfreund sein. Einer, der sogar auch jene wertschätzt, die die Wahrheit, bewusst oder unbewusst, mit Füßen treten.

Es ist die Kombination von all dem, die „Mehr als ein Zellhaufen – Wie wir konstruktiv über Abtreibung sprechen können“ zu einer der besten Verteidigungen des Lebensrechts ungeborener Kinder macht, die es je gab. Wer sie liest, findet sich bestens gerüstet, das Lebensrecht ungeborener Kinder anziehend statt abstoßend zu verteidigen und an einer Gesellschaft mitzubauen, in der sich alle Menschen als angenommen erfahren können und niemand mehr die Notwendigkeit verspürt, ein unerwartetes Kind abtreiben zu sollen.

Sabina M. M. Scherer, Mehr als ein Zellhaufen. Wie wir konstruktiv über Abtreibung sprechen können. Verlag SCM Hänssler, Hardcover, 224 Seiten, 20,00 €.

Dieser Beitrag von Stefan Rehder erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.


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