88 Milliarden Dollar pro Jahr – das ist das Preisschild für die Deportation aller illegalen Einwanderer in den USA, schätzt der American Immigration Council, eine Non-Profit-Organisation in Washington D.C., die sich für Migration einsetzt und gegen Donald Trumps Plan kämpft, Illegale abzuschieben: »Dies ist ein extremistischer Vorschlag, der unsere Wirtschaft zerstören, Familien und unsere Gesellschaft auseinanderreißen würde.«
150,7 Milliarden Dollar pro Jahr – das sind die Kosten, die den amerikanischen Steuerzahlern pro Jahr durch die große Zahl der illegal aliens, der illegalen Ausländer entstehen, davon schon abgezogen die Steuereinnahmen dieser Personengruppe, errechnet die Federation for American Immigration Reform (FAIR), ebenfalls eine Non-Profit-Organisation in der US-Hauptstadt, aber mit klarer Frontstellung gegen die Akzeptanz undokumentierter Zuwanderer.
Derartige Zahlen, die von der jeweils anderen Seite angezweifelt werde, spielen wichtige Rollen, aber sie sind nicht das Hauptargument, wenn die Amerikaner über Donald Trumps Ankündigung im Wahlkampf 2024 streiten, die 11 bis 15 Millionen Illegalen im Land zu deportieren.
Es geht in dieser Debatte um Drogen, die nach verbreiteter Überzeugung mit den Illegalen ins Land kommen. Es geht um den Eindruck gestiegener Verbrechenszahlen, obwohl offizielle Statistiken der Biden-Administration versicherten, sowohl die Gewalttaten als auch die Wohnungseinbrüche gingen zurück. Es geht um Engpässe auf dem Wohnungsmarkt und bei Jobs. Es geht um überfüllte Klassenräume und langsamere Lernfortschritte, weil viele zugewanderte Kinder zunächst Englisch lernen müssen.
Als Trump im TV-Duell mit Kamala Harris über Migranten aus Haiti klagte, die in Springfield/Ohio »unsere Katzen und Hunde essen«, grinste die damalige Vizepräsidentin und Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, während sich die Internet-Community auf die Schenkel klopfte und witzige Memes und Musikvideos kreierte. Aber ein großer Teil der Amerikaner sah sich bestätigt in ihrer Sorge.
Im Dezember 2023 reiste eine Rekordzahl von 250000 Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus ein, 2024 kamen pro Monat rund 56530 weitere hinzu. Im November sank die Zahl auf 46000 Menschen, die geringste Ziffer während der gesamten Biden-Regierung. Das war auf die strengeren Kriterien für Asylgewährung zurückzuführen, die Biden im Sommer verfügt hatte. Doch gleich zu Beginn seiner Amtszeit hatte der Demokrat fast sämtliche Maßnahmen von Trump zur Grenzsicherung aufgehoben. Die Folge: Zwischen seinem Amtsantritt und September 2024 wurden an der Grenze zu Mexiko acht Millionen Begegnungen mit Migranten registriert – in den vier Jahren der ersten Trump-Präsidentschaft waren es insgesamt nur 2,4 Millionen.
Auch heute wandern weiterhin jeden Tag tausende Menschen oft Meilen entlang den Grenzbefestigungen und Stacheldrahtsicherungen, um einen Übergang zu finden in das aus ihrer Sicht gelobte Land. Aus Sicht der Mehrheit der Amerikaner ist hingegen nicht nur der Ansturm zu groß, sondern auch die damit verbundenen Belastungen für Schulen, Wohnungs- und Jobmarkt sowie Sozialkassen.
Alle Illegalen ausweisen? Trumps Angst vor den Kameras
In vielen Wahlkampfreden sprach Trump von der Ausweisung aller Illegalen. Im NBC-Interview mit Kristen Welker für Meet the Press argumentierte der President-elect im Dezember 2024 vorsichtiger.
»Wir müssen die Kriminellen aus unserem Land schaffen. Wir müssen Menschen, die aus psychiatrischen Anstalten geholt wurden, zurück in ihre Anstalten bringen, egal welches Land das ist. Wissen Sie, dass die Gefängnisse in Venezuela so leer sind wie nie zuvor? Sie holen tausende von Menschen aus diesen Gefängnissen und lassen sie frei«, sagte Trump. Auf Welkers Frage, ob es denn realistisch sei, »alle abzuschieben, die sich hier illegal aufhalten«, antwortete Trump nebulös: »Sie haben keine Wahl. Erstens kosten sie uns ein Vermögen. Aber wir fangen mit den Kriminellen an und wir müssen es tun. Und dann fangen wir mit anderen an und sehen, wie es läuft.«
Bei der Deportation von Menschen, die seit Jahren inmitten der USA gelebt haben, die nicht kriminell sind, die in amerikanischen Firmen arbeiten, deren Kinder mit den Nachbarkindern im gleichen Klassenzimmer sitzen, werden in vielen Fällen Medien vor Ort sein und Nachbarn, die sicher nicht immer gewaltfreie Maßnahmen filmen und in den sozialen Netzwerken hochladen.
Vor diesem Problem scheint sich auch Trump zu fürchten. »Ich sage Ihnen, was schrecklich sein wird«, sagte er im Dezember 2024 zu NBC, »wenn wir eine wunderbare junge Frau nehmen, die mit einem Kriminellen zusammen ist. Und sie zeigen die Frau, und sie könnte dem Gesetz nach bei uns bleiben, aber sie zeigen, wie die Frau abgeführt wird. Oder sie wollen, dass sie ausreist, und Ihre Kameras sind auf sie gerichtet, während sie weint, während sie aus unserem Land gebracht wird. Und dann wendet sich die Öffentlichkeit gegen uns. Aber wir müssen unseren Job machen.«
Noch kam es zu keinem Szenario dieser Art, aber Trump hat bereits die Mehrheit der Bevölkerung gegen sich: In einer Gallup-Umfrage vom Juni 2024 befürworteten lediglich 47 Prozent die Deportation aller Illegalen aus den USA, während dies 51 Prozent ablehnten. Aber fünf Jahre zuvor sprachen sich nur 37 Prozent für Deportationen aus, während 61 Prozent dagegen waren.
Die illegale Zuwanderung ist das heiße Eisen, das die Demokraten über viele Jahre hinweg ignorierten und auch etablierte Republikaner nicht ernsthaft anpackten. In der Ära Trump aber kommt keiner mehr daran vorbei. 1992 hieß es nach einem berühmt gewordenen Wort von James Carville, einem Berater des (siegreichen) demokratischen Herausforderers Bill Clinton im Wahlkampf gegen Präsident George H.W. Bush: »It’s the economy, stupid« (Es kommt auf die Wirtschaft an, Dummkopf). Inzwischen haben beide Parteien begriffen, dass die aktuelle Losung lautet: »It’s the migration, stupid.«
Darum hat Biden seit 2024 versucht, die »Grenzkrise«, die sich durch Rekordzahlen an illegalen Übertritten äußerte, in den Griff zu bekommen.
Und im Wahlkampf 2024 sprach sich auch Kamala Harris für strengere Grenzkontrollen, zusätzliche Mittel für den Grenzschutz, Ablehnungen von unbegründeten Asylbegehren und die Deportation von kriminellen Zuwanderern aus. Harris versicherte zudem, sie habe in ihrer Zeit als Staatsanwältin in Kalifornien illegale Zuwanderer hinter Gitter gebracht.
Allerdings hatte die Biden-Regierung die seinerzeit von Trump initiierte Remain-in-Mexico-Politik, nach der Asylsuchende ihren Antrag von Mexiko aus stellen und dort auf das Ergebnis warten mussten, aufgehoben und bis zum Ende der Legislatur nicht wieder eingeführt.
Ausländerfeindlich sind die Amerikaner trotzdem nicht. Bis auf die inzwischen überschaubare Zahl der native Americans oder Indianer hat jede Familie ihren eigenen Zuwanderungshintergrund, beim Präsidenten angefangen, dessen Großvater aus Deutschland einwanderte.
Der gebürtige Südafrikaner Elon Musk schließlich, Trump-Kumpel aus dem Wahlkampf und erfolgreichster Unternehmer der Welt, startete offenkundig als illegaler Zuwanderer, nachdem er aus Kanada eingereist war. »Als sie uns finanzierten«, erinnerte sich sein Bruder Kimbal Musk in einem 2013 aufgenommenen Gespräch über Risikokapital-Geber für ihr erstes Start-up im Jahr 1996, »stellten sie fest, dass wir illegale Einwanderer waren.« – »Na ja …«, wiegelte Elon ab. »Ja, das waren wir«, beharrte Kimbal. Elon lachte verlegen und zog sich zurück auf die Formel: »…ich würde sagen, es war eine Grauzone.«
Einwanderer haben Amerika groß gemacht und halten die Großmacht jung. Zudem können sich viele Amerikaner mit Menschen identifizieren, die vor dem Chaos im unregierbaren Haiti, harten ökonomischen Bedingungen in Venezuela oder der Bandenkriminalität in südamerikanischen Ländern mitsamt ihren Familien fliehen. Inzwischen steigt auch die Zahl von Migranten aus China, wo die Jugendarbeitslosigkeit auf einem hohen Level stagniert, und aus dem wieder einmal blutig umkämpften Nahen Osten. Aus vergleichbaren Gründen kamen die eigenen Vorfahren irgendwann ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Leicht gekürzter Auszug aus:
Ansgar Graw, Die Ära Trump. Chancen und Risiken für Amerika und die Welt. LMV, Klappenbroschur, 272 Seiten, 22,00 €.
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