Tichys Einblick: „Einbinden statt ausgrenzen“ empfehlen Sie in Ihrem Buch. Es scheint aber, dass Ausgrenzung als probates Mittel gewählt wurde. Wird im Bundestagswahlkampf die Chance endgültig vertan?
Ralf Schuler: Mit den gemeinsamen Abstimmungen von Union und AfD im Bundestag ist die „Brandmauer“ gewissermaßen Geschichte. Die Bluttaten von Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg zwingen die Union, einfach zu liefern, was die Wähler erwarten. Und die Wähler der Union erwarten einfach keine schwarz-roten oder gar schwarz-grünen Lieferungen. Die Union kann sich in diesen Tagen die Art der eigenen Beerdigung aussuchen: Entweder mit der AfD Dienstleister des Wählerwillens zu sein oder mit linken Partnern das eigene Profil bis zur Unkenntlichkeit weiter zu verwässern. Langfristig wird an verschiedenen Formen der Kooperation mit der AfD kein Weg vorbeiführen. Nur offen sprechen kann man gerade im Wahlkampf darüber nicht, weil dieser Richtungsstreit die Union noch weiter nach unten zöge.
„Wir sehen uns 2029 wieder“. Viele frustrierte Mitterechts-Wähler setzen jetzt ihre Hoffnung auf 2029. Kann man eine politische Wende einfach vertagen?
Nein. So einfach ist es nicht. Die Union weiß, dass sie nach der Wahl liefern muss, wenn sie sich nicht gänzlich überflüssig machen will. Schon jetzt gibt es intern Strategen, die dazu raten, lieber jetzt aus einer Position der Stärke mit der AfD zu kooperieren und nicht zu warten, bis man womöglich Junior-Partner wäre wie in den Ost-Ländern. Klar ist aber auch: Bis 2029 wird sich auch der Widerstand gegen eine weiter erstarkende AfD radikalisieren. Das wäre ein ungemütlicher Ausblick.
Holt Merz mit seinen migrationspolitischen Maßnahmen Wähler von der AfD zurück zur CDU?
Elon Musk hat die AfD in die Medien geholt – unübersehbar jetzt auch AfD-Vertreter in Talkshows. Ist das der Durchbruch durch die Brandmauer in die Mitte?
Ich glaube, diese Aktionen machen die AfD in den Augen von mehr Menschen im weitesten Sinne „normal“. Sie ist einfach da. Mit jedem Monat der verstreicht, wachsen junge Leute nach und werden politisch sozialisiert, die die Parteienlandschaft gar nicht kennen ohne AfD. Der Dämonisierungseffekt wird dadurch nachlassen.
… oder hat die AfD sich im Wahlkampf „radikalisiert“, wie Merz behauptet?
Nein, die AfD wird derzeit fast ausschließlich über ihre Vorsitzende, ein wenig über den Vorsitzenden Tino Chrupalla wahrgenommen. Und Alice Weidel ist erkennbar lockerer, geschmeidiger geworden. Die vermeintliche Radikalisierung wird in der Union mit zunehmender Nähe zur Wahl vor allem deshalb behauptet, um die Nicht-Kooperation und Nicht-Lieferung der entsprechenden Politik zu begründen. Die Rückmeldungen von den Wahlkampf-Ständen gehen bei CDU und CSU vielfach ganz klar in die Richtung, mit der AfD zu kooperieren. Die Menschen haben für taktische Spiele immer weniger Verständnis.
Nun wird auch Musk als rechtsradikal etikettiert. Wie lange kann man solchen Unsinn weitertreiben?
Nicht mehr lange. Musk hat in der Tat wenig Ahnung von Deutschland und geht – ähnlich, wie bei seinen Unternehmen – nach Gefühl vor: In Deutschland läuft es nicht, die Etablierten machen so weiter, als muss man da mal auslichten. Diese amerikanische Unbekümmertheit funktioniert hierzulande allerdings nicht ganz so einfach, weil Europa eben ein alter Kontinent mit gewachsenen Strukturen und Kulturen ist und keine besiedelte Auswanderer-Nation. Aber Musk hat mit diesem Naturell eben Mars-Missionen gestartet, Raketen gebaut und ein Imperium geschaffen. Da interessieren ihn Einwände von linken Bedenkenträger und Ideologen herzlich wenig.
Und das BSW: schnell gestartet, in Thüringen verstolpert?
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist ein gutes Beispiel dafür, dass Talkshow-Präsenz allein noch keinen Erfolg bringt, wenn man keinen politischen Zeitgeist im Rücken hat. Das Friedensthema zieht im Westen weniger als im Osten, und mit Russland tut man sich ebenfalls in den „alten Ländern“ schwerer. Den Sprung über die fünf-Prozent-Hürde dürfte BSW wohl noch einmal schaffen, aber je schriller die linken, sozialistischen Farben bei Wagenknecht durchschimmern, desto begrenzter wird die Reichweite. Migrationskritik, Meinungsfreiheit und vernünftiger Umgang mit der AfD werden ihr angerechnet. Antikapitalistische Flausen sind bei vielen Menschen historisch durch.
Ralf Schuler, Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Fontis Verlag, Hardcover, 304 Seiten, 24,90 €.