Tichys Einblick
Forsa-Umfrage

Stell Dir vor, es ist Wahl und keiner geht hin

Die Zahl der potenziellen Nichtwähler ist in jüngster Zeit explodiert. Das hat eine Forsa-Umfrage ergeben. Die Ursache dafür ist vor allem bei einem Kandidaten zu suchen.

IMAGO / Chris Emil Janßen

Derzeit planen 28 Prozent der Stimmberechtigten, am 23. Februar nicht an der Bundestagswahl teilzunehmen. Das hat eine Umfrage des Instituts Forsa ergeben. Anfang Dezember lag der Wert noch bei 22 Prozent. Ein Anstieg von über einem Viertel über die Feiertage. „Das ist untypisch und zeigt, wie verunsichert die Menschen sind, dass sie nicht mehr wissen, wen sie überhaupt noch wählen sollen“, sagte Forsa-Chef Manfred Güllner gegenüber der Bild. Normalerweise gehe vor einer Wahl der Anteil der Nichtwähler zurück. Der Wahlkampf helfe Unentschlossenen, eine Entscheidung zu treffen und motiviere sie, sich selbst festzulegen.

Zur letzten Wahl sind 23,4 Prozent der Berechtigten nicht erschienen. Werte, die leicht über 28 Prozent lagen, gab es nur 2009 und 2013. Also zu den ersten beiden Wiederwahlen Angela Merkels. Die CDU-Frau hatte die „asymmetrische Demobilisierung“ gezielt eingesetzt. Indem sie Themen der Konkurrenz besetzte, ermutigte die Kanzlerin Anhänger anderer Parteien auf eine Stimmabgabe zu verzichten. 2017 stieg die Wahlbeteiligung dann wieder an. Die AfD mobilisierte Nichtwähler und die, die mit der grün-roten Einwanderungspolitik der Kanzlerin unzufrieden waren.

An der potenziell niedrigen Wahlbeteiligung 2025 trägt wieder der Spitzenkandidat der Union die Schuld. Wenn auch dieses Mal auf eine andere Weise. Oppositionsführer Friedrich Merz ist keine echte Alternative zur Regierung. Aktuell verzichtet er im Bundestag auf vorhandene Mehrheiten in wichtigen Fragen wie der unkontrollierten Einwanderung, dem Abbau von Bürokratie oder besseren Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Seine Union lässt Anträge zu diesen Punkten gar nicht erst auf die Tagesordnung kommen. Merz sagt, er wolle zufällige Mehrheiten vermeiden. Sprich: Merz will an der „Brandmauer“ festhalten, die seine Konkurrenz AfD von Entscheidungen und gut bezahlten Posten fernhält. Damit reduzieren sich die Optionen Merz‘ nach der Wahl auf eine Koalition mit SPD, Grünen oder beiden zusammen.

Merz verspricht den Wählern bessere Bedingungen für die Wirtschaft, den Abbau von Bürokratie und den Kampf gegen die unkontrollierte Einwanderung. Gegen SPD und Grüne wolle er das nicht durchsetzen, trotz Mehrheit, sagt Merz. Aber mit SPD oder Grünen als Koalitionspartner werde er das ganz sicher durchdrücken, verspricht der CDU-Vorsitzende. Offensichtlich glauben ihm die Wähler das nicht. Güllner nennt sie dafür „verunsicherte Menschen“. Doch vielmehr sind die Wähler nicht ganz so dumm, wie sie es sein müssten, um der Union ihre Kampagne abzunehmen. Zumal Merz drei Jahre lang bewiesen hat, dass er jede Position innerhalb von zwölf Stunden aufgibt, wenn sich grün-rote Journalisten oder Politiker dagegen aussprechen.

Die ganze Zeit dümpelte die Union bei 30 Prozent, was einen Vorsprung vor SPD und Grünen von jeweils gut 15 Prozent bedeutete. Merz mag gedacht haben, die Schienen seien schon verlegt, die ihn ins Kanzleramt führen. Auch wenn 30 Prozent eigentlich viel zu wenig für die größte Oppositionspartei sind, wenn die Regierung von sich selbst zugeben muss, dass sie im Bundestag weder eine Mehrheit hat, noch das Vertrauen genießt. Weil ihr die Wirtschaft nunmehr im dritten Jahr schrumpft, weil sie die Kosten für Steuern und Abgaben explodieren lässt oder weil sie weder innere noch äußere Sicherheit im Griff hat. Weil über 100 Hinweise auf einen Gefährder aus Saudi-Arabien nicht dazu führen, dass er gestoppt wird, bevor er auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt Amok läuft und sechs Menschen tötet. Während schon eine unflätige Bemerkung über die Regierung ausreicht, damit Sondereinsatzkommandos und Staatsjournalisten zu Hausdurchsuchungen anrollen.

Kein Oppositionsführer hatte es je so leicht wie Friedrich Merz. Keiner hat so wenig mit der Vorlage angefangen wie der Sauerländer. Merkel kann man zugutehalten, dass sie es 2005 immerhin mit der Wahlkampf-Maschine Gerd Schröder zu tun hatte. Auch wenn dessen rot-grüne Regierung ebenfalls Mehrheit und Vertrauen im Bundestag verspielt hatten. Aber Merz tritt gegen Olaf Scholz an. Den unbeliebtesten Regierungschef aller demokratisch geführten Länder – weltweit. Trotzdem ist die Union sogar noch unter die 30-Prozent gerutscht. Just an dem Wochenende, an dem Forsa den sprunghaften Anstieg der Nichtwähler verkündet hat.

Die Menschen seien verunsichert, lässt sich sagen – wenn man mit Merz schonend umgehen will. Er kann es nicht, trifft es aber eher. Friedrich Merz ist keine Alternative zu Rot-Grün, Friedrich Merz ist die Fortsetzung von Rot-Grün unter einem anderen Anführer – unter einem genau so wenig konsequenten oder charismatischen Anführer wie Olaf Scholz. Es ist also wenig verwunderlich, wenn die einen Wähler zur AfD wechseln, die anderen ins Lager der Nichtwähler. Am Ende könnte sogar die AfD noch an der CDU vorbeiziehen. Die TE-Wahlwette beschäftigt sich mit dieser Frage.

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