Tichys Einblick
Parallelen zur Causa Baerbock 2021

Plagiatsvorwürfe: Kandidat Habeck wird nervös und macht auf „proaktive“ Verteidigung

Plagiatsjäger Stefan Weber wirft Robert Habeck vor, Quellenarbeit vorgetäuscht zu haben. Habeck weist die Anschuldigungen zurück, doch die Debatte ist entfacht. Gilt gleiches Recht für alle?

IMAGO / pictureteam

Am Montagmittag, 10. Februar, kurz vor der Aufzeichnung seines am Abend ausgestrahlten 45-Minuten-Interviews mit ARD und ZDF, ging der „grüne“ Kanzlerkandidat Robert Habeck an die Öffentlichkeit. Auf X erklärte er, er rechne damit, dass bald Plagiatsvorwürfe gegen ihn bekannt würden. Diese beträfen seine Dissertation, mit der er im Jahr 2000 promoviert wurde. Habeck, der damals 31 Jahre alt war, streitet die Vorwürfe ab und verweist auf Untersuchungen der Ombudsstelle der Universität Hamburg sowie eine Stellungnahme des Präsidenten der Leopoldina. Die Plagiatsvorwürfe beziehen sich auf Habecks Dissertation mit dem Titel „Die Natur der Literatur. Zur gattungstheoretischen Begründung literarischer Ästhetizität.“

Was der Plagiatsjäger Weber moniert

Ebenfalls am 10. Februar veröffentlichte der Plagiatsjäger Stefan Weber (54) auf seinem Blog ein 188-seitiges Gutachten unter dem Titel „Plagiatsverdacht: Die systematisch verfehlte Quellenarbeit des Robert Habeck“. Weber attestiert Habecks Arbeit „Quellen-, Zitats- und Textplagiate“, „Falschzitate“ sowie „Schlampereien bei Quellenangaben“ – insgesamt „grobe wissenschaftliche Verfehlungen“. Weber schreibt, Habeck habe auf „geradezu unglaubliche Weise eine Belesenheit vorgetäuscht, die er nicht hat“. Webers Hauptvorwurf: „Die Quellenarbeit von Robert Habeck ist in Summe als verfehlt und unwissenschaftlich zu bezeichnen.“

Weber hält Habeck vor, dieser habe vorgetäuscht und so getan, als habe er Geistesgrößen im Original studiert, während er seine Quellen lediglich aus den Arbeiten anderer Wissenschaftler abgeschrieben habe. Habeck erwecke damit den „Anschein der Gelehrsamkeit“. Konkret: Habeck zitiere gut zwanzig Bücher berühmter Philosophen – je fünf von Kant, Hegel, Adorno und Heidegger. Wäre er ehrlich vorgegangen, dürften im Literaturverzeichnis seriöserweise lediglich vier Literaturquellen auftauchen, die Habeck tatsächlich verwendet hat. Habeck indes suggeriere „einen imposanten Bücherstapel von 24 Werken, die er nicht gelesen bzw. als Originalquellen konsultiert hat“. „Typisch grünes Blendwerk?“ So ist man geneigt zu fragen.

Der „Plagiatsjäger“, der Salzburger Kommunikationswissenschaftler und Privatdozent Dr. Stefan Weber, nimmt sich gerne Dissertationen und andere Arbeiten Prominenter vor. Insgesamt 13-mal war er erfolgreich, sodass den Betreffenden der „Dr.“-Titel aberkannt wurde. Weber hatte aber auch Flops. Im Fall des damaligen CDU-Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (2013) oder der Chefredakteurin der „Süddeutschen“ Alexandra Föderl-Schmid (2024) hatte er keinen Erfolg.

Habecks „proaktive“ Verteidigung

Gewiss will der Plagiatsjäger Weber Wirbel in den Wahlkampf bringen. Auffällig ist indes auch, dass bereits vor der Veröffentlichung der Weber’schen Plagiatsvorwürfe Habecks Verteidigungslinie aufgebaut wurde – in erster Linie von Habeck selbst auf X:

Auch „Süddeutsche“, „Welt“, „dpa“, FAZ und die ÖRR übernahmen schnell Habecks Verteidigungsstrategie.

Andreas Audretsch, Habecks Wahlkampfmanager, spricht in einer Stellungnahme von „Desinformationskampagnen“: „Wir wissen, dass Putins Russland oftmals Urheberin dieser gezielten Falschinformationen im Internet ist, die zuletzt wiederholt Robert Habeck, aber auch Friedrich Merz, diskreditieren und ihre Integrität untergraben sollten.“

Was ist die Stellungnahme der Universität Hamburg wert?

Die Universität Hamburg hat Habecks Verteidigungslinie unterdessen bestätigt. Schon im Januar 2025 sei Habeck auf die Ombudsstelle der Uni zugekommen. Das Ergebnis des Uni-Gutachtens lautete: „Kein wissenschaftliches Fehlverhalten.“ Allerdings habe man Habeck die Überarbeitung „einzelner Zitate und Fußnoten“ empfohlen. Ein zweites Gutachten, das neue Vorwürfe prüft, sei noch in Bearbeitung. Das heißt, im Gegensatz zu Habecks Entlastungsgegenattacke konnte Webers am 10. Februar detailliert aufgelistete Kritik noch gar nicht Gegenstand der Überprüfung der Universität Hamburg gewesen sein.

Hat die Verteidigung Habecks durch Leopoldina-Mann Haug Gewicht?

Habeck schrieb auf X unter anderem: „Ich habe auch den Präsident (sic!) der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, um eine Einschätzung gebeten. Auch er hat keine Zweifel an der Eigenständigkeit der wissenschaftlichen Arbeit …“ Rückendeckung bekommt Habeck also von Prof. Gerald Haug. Haug, selbst Paläoklimatologe, ist Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Habeck hatte sich an ihn mit der Bitte um eine Einschätzung gewandt.

Was das Wort eines Forschers wert ist, der sich mit dem Weltklima vor Tausenden oder gar Millionen Jahren, aber nicht mit Literatur befasst, kann man durchaus fragen. Auf alle Fälle steht Haug den Grünen nahe, wie sein allerdings fünf Jahre zurückliegender Auftritt als Gastreferent bei einem grünen Sommerfest belegt.

Parallelen zur Causa Baerbock 2021

Für die Grünen ist Stefan Weber jedenfalls ein rotes Tuch. Weber hatte kurz vor der Bundestagswahl vom 26. September 2021 die damalige „grüne“ Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock bzw. deren Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ unter die Lupe genommen. Weber beanstandete, Baerbock habe mindestens 100-mal ganze Passagen aus anderen Texten wortgleich oder fast wortgleich übernommen – ohne Kennzeichnung. Das Buch wurde später aus dem Handel genommen. Auffällige Textübereinstimmungen gab es in Baerbocks Buch auch mit Habecks 384-seitigem Buch vom Januar 2021 mit dem Titel: „Von hier an anders. Eine politische Skizze.“

Die Grünen landeten am 26. September 2021 übrigens bei 14,7 Prozent, nachdem sie noch im Mai 2021 von fast allen Instituten auf bis zu 25 Prozent taxiert worden waren. Klar, dass Kandidat Habeck diesen damaligen Absturz aktuell im Hinterkopf hat.

Unter den hundert plagiierten Passagen fanden sich übrigens 17 Plagiatsfragmente aus Armin Laschets Buch „Die Aufsteigerrepublik. Zuwanderung als Chance“ (September 2009). Zu diesem Zeitpunkt, und zwar seit 2005, war Laschet in NRW „Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration“. Beim Abfassen des Buches war Laschet von Mitarbeitern seines Ministeriums unterstützt worden. Das Buchhonorar spendete Laschet dann an einen Jugendhilfe-Verein, er setzte die Spende jedoch privat steuerlich ab, ohne das Honorar als Einnahme anzugeben. Die ausstehenden Steuern wurden nachgezahlt.

Parallelen zu Guttenberg 2011 und Schavan 2013

Im Jahr 2011 wurde dem damaligen Bundesminister der Verteidigung Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nachgewiesen, dass er in seiner Dissertation „Verfassung und Verfassungsvertrag“ aus dem Jahr 2007 intensiv plagiiert hatte. Die Universität Bayreuth entzog ihm daraufhin den „Dr.“-Titel. Im März 2011 trat zu Guttenberg als Bundesminister zurück.

Im Jahr 2013 entzog die Universität Düsseldorf der damaligen Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) den „Dr.“-Titel. Es ging um ihre Dissertation „Person und Gewissen“ aus dem Jahr 1980. Schavan trat unmittelbar nach der Uni-Entscheidung als Bundesministerin zurück. Die Entscheidung wurde 2014 vom Verwaltungsgericht Düsseldorf bestätigt.

Das Gericht stellte damals fest: „Maßgeblich ist insoweit ausschließlich, ob und inwieweit die der Sekundärliteratur entnommenen Paraphrasen, die sich zu den Primärquellen verhalten, als solche kenntlich gemacht worden sind. Fehlt es, wie hier, an einer solchen Kenntlichmachung und bezieht sich die Klägerin auf eine Primärquelle, deren Inhalt und/oder Deutung sie letztlich aus einer nicht nachgewiesenen Sekundärquelle abschreibt, täuscht sie.“

Die Frage bleibt: Gilt gleiches Recht für alle?

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