Tichys Einblick
Vorerst keine Gesetzesänderung

Legalisierung von Abtreibung vorerst gescheitert: Sachverständige uneins

Mit einer Sachverständigenanhörung endet vorerst der hastige Vorstoß, Abtreibung noch vor den Neuwahlen zu legalisieren. Das geplante Gesetz hätte einen zivilisatorischen Dammbruch bedeutet und Hilfe erschwert – verhindert wurde es nicht durch rechtliche und ethische Bedenken, sondern durch die Trägheit des Gesetzgebungsverfahrens.

picture alliance/dpa | Jens Kalaene

Der Versuch, Abtreibung im Hauruckverfahren noch vor den Neuwahlen zu legalisieren, ist gescheitert: Nachdem im November 2024 eine fraktionsübergreifende Gruppe von 328 Abgeordneten von SPD, Grünen und Linken einen Gesetzentwurf zur Legalisierung von Abtreibung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche eingebracht hatte, war dieser nach der Ersten Lesung Anfang Dezember in den Rechtsausschuss überwiesen worden. Dort fand am 10. Februar eine Sachverständigenanhörung statt, in der elf Experten, in der Mehrheit Juristen, ihre Sicht auf das Gesetz darlegten.

Sachverständigenanhörung am 10. Februar
Abtreibungslegalisierung: Öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss
Obwohl der Zeitplan mit extrem heißer Nadel gestrickt gewesen wäre – wir befinden uns in der letzten Sitzungswoche des Bundestags – hielten sich hartnäckig die Gerüchte, man könne irgendwie noch eine abschließende Abstimmung vor den Neuwahlen herbeiführen: „Wir als Gruppe wollen alles dafür tun, das Gesetz bis zur Konstituierung des neuen Bundestages zu beschließen“, so Mit-Initiatorin Carmen Wegge von der SPD gegenüber t-online. Laut dem Portal stand die Einberufung einer Sondersitzung des Rechtsausschusses im Raum, um das Gesetz zum Ende der Sitzungswoche nochmals einbringen zu können. Dem allerdings erteilte die FDP bereits im Vorfeld eine Absage, zudem lag für das Plenum über den 11. Februar hinaus keine Tagesordnung vor.
Schnell noch ein Gesetz durchpeitschen

Mediales Dauerfeuer vermittelte den Eindruck eines Politkrimis und suggerierte eine Dringlichkeit, die nicht vorliegt: Das geltende Recht ist zwar, wie Beatrix von Storch während der Anhörung anmerkte, „schwer erträglich“ für Befürworter wie Gegner von Abtreibung. Allerdings sorgt es zweifellos dafür, dass Frauen, die abtreiben wollen, dies tun können, während zumindest pro forma der Anspruch weiterbesteht, dass jedem menschlichen Leben bedingungslos Würde zukomme. Die Preisgabe dieses Grundsatzes würde zwangsläufig in Sozialdarwinismus münden.

Andererseits machten die Befürworter keinen Hehl daraus, dass sie das Gesetz so schnell wie möglich durchpeitschen wollten, weil aufgrund der zu erwartenden veränderten Mehrheitsverhältnisse eine Änderung in der nächsten Legislaturperiode unwahrscheinlich ist. Obwohl die Bereitschaft, den eigenen Willen gegen sich abzeichnende demokratische Mehrheiten durchzusetzen, hochgradig undemokratisch ist, und einen Mangel an Respekt gegenüber den Wählern demonstriert, klagen die Initiatoren des Antrags ihrerseits Union und FDP an – diese hätten in „unparlamentarischer“ Weise den Prozess verschleppt.

Studien statt Realität

Die online abrufbare Sachverständigenanhörung zeigt deutlich, wie sehr die Debatte von Ideologie bestimmt ist: Da werden rechtliche Grundlagen unserer Gesellschaft als irrelevant abgetan, biologische Fakten spielen keine Rolle. Zudem wird, um eine Gesetzesänderung zu legitimieren, eine Realität konstruiert, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat: Ärzte würden nicht an Abtreibungen mitwirken, weil sie Angst vor rechtlichen Folgen hätten, wird da in den Raum gestellt, obwohl selbst eine Studie, die eigentlich die Forderung nach Legalisierung untermauern soll, belegt, dass lediglich 3 Prozent der Ärzte rechtliche Bedenken haben.

Frauen fühlten sich stigmatisiert, wird behauptet, um dann in der Ausführung zugeben zu müssen, dass dies zum Großteil „internalisiert“ sei. Auf Deutsch: Sie werden eben gerade nicht von anderen verurteilt, sondern verurteilen sich selbst. Zahlreiche Frauen, die ihre ungeborenen Kinder töten lassen, haben danach mit Scham- und Schuldgefühlen zu kämpfen. Das hat natürlich nichts mit der Rechtslage zu tun, sondern mit ihrem Gewissen: Vieles steht nicht unter Strafe, wird aber trotzdem als „falsch“ empfunden, häufig, weil es falsch ist. Folglich kann auch eine Legalisierung nicht verhindern, dass Frauen bereuen, den Tod ihres Kindes herbeigeführt zu haben.

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Einer der wenigen „Praktiker“ unter den Sachverständigen, Kristijan Aufiero, der als Geschäftsführer die Arbeit einer Beratungsstelle für Frauen im Schwangerschaftskonflikt jedes Jahr ausführlich dokumentiert, eckte dementsprechend an. Er zitierte wörtlich Aussagen einer Frau, die ihre Abtreibung bereut, woraufhin ihn die Grünen-Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther verärgert angriff: Echte Einblicke in die Lebenswelt von echten Betroffenen unerwünscht, schließlich bilden die nicht ab, was man gern hätte.

Aufiero zeigte sich gegenüber TE überrascht über die „hochaggressive Stimmung“ während der Anhörung im Rechtsausschuss, und den „Fanatismus, der spürbar geworden“ sei, begleitet von „Unsicherheit und Nervosität in der Sache“ auf Seiten der Befürworter der Legalisierung. Aufiero weist, wie auch in der Anhörung, auf den manipulativen Charakter der Studien hin, die Stigmatisierung von Frauen, Kriminalisierung von Medizinern oder „Versorgungsengpässe“ belegen sollen: Bei jeweils ca. 100.000 Abtreibungen pro Jahr über Jahrzehnte, die jeweils nicht nur das Kind und die Mutter beträfen, sondern auch Familie und Freundeskreis, könne von Stigmatisierung der Frau ebenso wenig die Rede sein wie von mangelndem Zugang zu Abtreibung. Die Studien dienten dazu, falsche Narrative zu verbreiten: „Wer die Wahrheit sagt, braucht nicht aggressiv werden“, so Aufiero.

Das funktioniert freilich nur, solange die Stimmen der Betroffenen kein Gehör finden. So stachen auch der Gynäkologe Matthias David und Professor Karsten Gaede von der Bucerius Law School heraus: David machte eingangs deutlich, auf seine Mitwirkung an Abtreibungen „nicht stolz“ zu sein, und stellte klar, dass es sich keineswegs um eine gewöhnliche Gesundheitsleistung oder Behandlung handle, schließlich würden normalerweise „gesunde Embryos beseitigt“. Wie David widersprach auch Gaede der Behauptung, dass Ärzte potenzielle strafrechtliche Konsequenzen fürchten würden. Sie würden vielmehr deshalb nicht an Abtreibungen mitwirken wollen, weil sie dies mit ihrem ärztlichen Ethos und Selbstverständnis nicht vereinbaren könnten.

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Auf Seiten der Befürworter hingegen spielte der Mensch keine Rolle: Eine Frau sei durch die dreitägige Bedenkzeit oder dadurch, dass sie auf einen Termin warten müsse, unter Umständen dazu gezwungen, „weitere zwei Wochen mit einer ungewollten, in ihr weiterwachsenden Schwangerschaft herumlaufen [zu] müssen“, so die Abtreibungsaktivistin und Ärztin Alicia Baier, die ohne Umschweife den Embryo entmenschlicht. Ein neuer semantischer Trick der Abtreibungslobby: Weil wissenschaftliche Erkenntnisse die Leugnung der Tatsache, dass es sich beim Embryo um einen Menschen handelt, immer schwieriger machen, wird die Sprachregelung immer unpersönlicher: Man spricht entweder von Schwangerschaftsgewebe oder mittlerweile sogar nur noch von „der Schwangerschaft“, die im Zweifel dann auch „abgesaugt“ werden kann. Sprachlicher Unsinn, der offenlegt, wie verzweifelt hier die Realität geleugnet wird.
Ein skandalöser Gesetzentwurf

Man bemüht sich zudem, die Frage nach Legalisierung so zuzuspitzen, als ginge es hier um Frauenrechte. Damit lenken Befürworter der Legalisierung von den haarsträubenden Forderungen ab, die ein Blick in den Gesetzentwurf offenbart: Er zielt vor allem darauf, Abtreibung aus dem Strafgesetz zu tilgen. Dies bedeutet jedoch de facto, dass die Tötung eines wehrlosen Menschen nicht mehr per se als Unrecht gelten würde – die Unrechtmäßigkeit hinge in Zukunft allein davon ab, ob die Person, von der das Leben dieses Menschen maßgeblich abhängt, in diesem Fall die Mutter, den Tod dieses Menschen möchte oder nicht. Dass dies vor dem Bundesverfassungsgericht hätte bestehen können, ist unwahrscheinlich.

Ebenfalls skandalös: Mit der Legalisierung von Abtreibung bis zur zwölften Woche – das Herz schlägt bereits ab der fünften – sollen Beratung und Hilfe erschwert, wenn nicht in Teilen verunmöglicht werden: Obwohl keinerlei Daten diese Behauptung belegen, beklagen Befürworter eine angebliche Kriminalisierung von Ärzten und Schwangeren, wollten umgekehrt aber mit dem Gesetz einen neuen Straftatbestand implementieren, und zwar die „Nötigung, den Abbruch der Schwangerschaft zu unterlassen“.

Kriminalisierung von Hilfe?

Damit wäre die Tür zur Kriminalisierung von Hilfsangeboten weit aufgestoßen: Wer legt fest, ab wann die Festigung der Überzeugung, das Kind behalten zu können, „Nötigung“ sei? Mentale Stärkung, die Bereitstellung finanzieller oder personeller Mittel, das Aufzeigen von Lösungen, all das ist Einflussnahme zugunsten des Kindes. Das Töten und das Austragen des Kindes würden auf dieselbe Stufe gestellt, als handelte es sich um zwei gleichrangige Entscheidungen. Dem entspricht auch, dass die Beratung nicht mehr, wie derzeit zumindest theoretisch gefordert, auf die Fortführung der Schwangerschaft zielen soll, sondern „ergebnisoffen“ zu erfolgen hätte. Es ist schlicht erschreckend, dass ein solches Vorhaben die Zustimmung von über 300 Abgeordneten des Deutschen Bundestags gefunden hat.

Dass dieser Gesetzesvorstoß gescheitert ist, bewahrt die deutsche Gesellschaft also vor einem veritablen zivilisatorischen Dammbruch – vorerst. Denn es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass zum einen die Informationslage innerhalb der deutschen Bevölkerung zu wünschen übrig lässt; zum andern schafft es die gut in die Medienwelt vernetzte Abtreibungslobby immer wieder, Abtreibung als Frauen„recht“ zu platzieren, Widerstand gegen die Freigabe als frauenfeindlich, rückständig und natürlich „rechts“ zu diffamieren, und sachliche Auseinandersetzung auf ein Minimum zu reduzieren. Das Lebensrecht in Deutschland wurde nicht durch das Bewusstsein für die Grundlagen des Rechtsstaats oder durch zivilisatorischen Konsens vor dem Kollaps bewahrt, sondern durch die Trägheit parlamentarischer Verfahren.

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