Tichys Einblick
Rekrutierung

„Komm in die Mannschaft!“ – Wie die Bundeswehr zur Fußball-EM junge Frauen gewinnen will

In einer Kampagne der Bundeswehr zur Fußball-EM verschwimmen die Grenzen zwischen Fußball und Kriegstüchtigkeit. Statt Fußballbegeisterung erreicht die Kriegsstimmung die Wohnzimmer Deutschlands.

Die Bundeswehr rüstet auf und drängt die kriegerische Stimmung im Land noch mehr in die Wohnzimmer als ohnehin schon. Zum einen will Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) für 25 Millionen Euro eintausend neue Leopard-2-Panzer und weitere Kriegsmaschinerie anschaffen, wie Bloomberg zuerst berichtete. Zum anderen nutzt die Bundeswehr die aktuelle Fußball-Europameisterschaft der Frauen, um junge Frauen für die Bundeswehr zu begeistern.

Die neuen Panzer sollen als Ausrüstung für neue Nato-Gruppen dienen, wie verschiedene Medien melden. Denn laut Reuters hat das Verteidigungsbündnis Deutschland um sieben weitere Brigaden bis 2030 gebeten. Die jeweils bis zu 5000 Personen starken Truppen sollen demnach Teil der Abschreckung gegen Russland sein.

Damit Pistorius diese Truppengröße erreichen kann, steht also auch die Rekrutierung von neuen Soldaten auf seiner To-Do-Liste. Passend dazu hat die Bundeswehr zur Europameisterschaft der Frauen eine Werbekampagne gestartet, die weibliche Nachwuchskräfte anlocken soll: „Komm in die Mannschaft“ heißt die Kampagne, mitgestaltet von der Agentur „Stammbetreuer Castenow“. In dieser Kampagne werden Fußball und Wehrdienst als ein und dasselbe dargestellt. So als gäbe es keinen Unterschied zwischen einer Grätsche auf dem Spielfeld und einer Bombenexplosion auf dem Schlachtfeld.

Auswertung des Bundesrechnungshofes
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In dem TV-Werbespot, der zu den EM-Spielen und zur besten Sendezeit gezeigt wird, sitzt Nationalspielerin Cora Zicai in Fußballkleidung in einer Umkleidekabine: „Unsere Technik ist einwandfrei, unser Zusammenhalt echt besonders und auch unsere Verteidigung wird immer besser“, sagt sie stolz. Aber dann wird sie nachdenklich: „Aber irgendetwas fehlt“. Als die Hintergrundmusik stoppt, sorgt eine Soldatin, die an der Kabinentür lehnt, für den Aha-Moment: „Cora, ist doch klar, unser Kader ist zu klein.“

Zicai spielt beim VfL Wolfsburg als Stürmerin und aktuell für die Nationalmannschaft. Außerdem ist sie als „Sportsoldatin“ ein Teil der Bundeswehr. Sportsoldaten bei der Bundeswehr haben die Hauptaufgabe, Leistungssport zu betreiben und dabei die Bundesrepublik Deutschland zu repräsentieren. Sie absolvieren zwar eine militärische Grundausbildung, jedoch liegt der Fokus auf dem Sport. Sie erzählt den Zuschauern in dem Werbespot, dass die Bundeswehr Menschen braucht, „die über sich hinauswachsen, die durchziehen und an sich glauben“.

Auch auf Instagram und in anderen sozialen Medien verbreitet die Bundeswehr diese Kampagne. „Komm in die Mannschaft“ ist in dem Haupt-Werbespot und weiteren Beiträgen zu lesen, während elf uniformierte Soldatinnen auf einem Fußballplatz posieren – so, als wären sie ein Fußballteam.

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Diese Vermischung von sportlichem Vergnügen und zerstörerischem Krieg wird sich während der gesamten Europameisterschaft in die Wohnzimmer zahlreicher Familien schleichen: ARD und ZDF zeigen sämtliche Spiele dieses Turniers, inklusive des Bundeswehr-Spots. Bei dem Spiel Deutschland gegen Polen am vergangenen Freitag saßen zum Beispiel rund 8,22 Millionen Menschen vor dem Fernseher, davon viele Mädchen und junge Frauen, die zu den Nationalspielerinnen aufschauen. Und ihnen wird nicht nur erklärt, dass sie eine Karriere bei der Bundeswehr starten könnten. Mit dieser Kampagne verharmlosen die Bundeswehr und der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der den Spot präsentiert, den Krieg. Sie stellen ihn so da, als wäre er wie ein Fußballspiel. Also jene Sportart, die Menschen weltweit verbindet und feiern lässt.

Ja, es gibt auch beim Fußball Verletzte: Das mussten die Fußballfans am Freitag miterleben, als die Kapitänin Giulia Gwinn sich bei einer wichtigen Verteidigungsaktion am Knie verletzte und unter Tränen vom Spielfeld humpeln musste. Aber im Fußball steht immer noch der Sport und die Freude im Mittelpunkt. Im Krieg nicht. Da wird ein Keil zwischen Menschen getrieben. Unzählige Menschen verlieren dabei täglich ihr Leben. Womöglich auch junge Mädchen, die sich wünschten, eines Tages in einem Fußballstadion auflaufen zu können und ihrer Leidenschaft nachzugehen.

Umso erschreckender wirken die Texte, die die Bundeswehr unter ihre Kampagnen-Beiträge in den sozialen Medien setzt, zum Beispiel: „Wir möchten, dass mehr Frauen oben mitspielen. Genau dafür bietet die Bundeswehr das richtige Umfeld.“ Die Bundeswehr verlinkt dazu eine Website, auf der sich Interessierte einige Geschichten von Soldatinnen durchlesen oder sogar einen Online-Dialog über die beruflichen Möglichkeiten bei der Bundewehr starten können.

Dabei werden aber vor allem jene Berufe innerhalb der Bundeswehr betont, die ganz harmlos daherkommen: IT oder Technik zum Beispiel. Waffen, Tod und Krieg? Fehlanzeige. Dabei spielt die Kampagne doch sogar mit dem Wort „Mannschaft“. Zur Mannschaft gehören bei der Bundeswehr die niedrigsten Dienstgrade. Laut Bundeswehr-Internetseite sind das: Grenadier, Jäger, Panzerschütze, Panzergrenadier, Panzerjäger, Kanonier, Panzerkanonier, Pionier, Panzerpionier, Funker, Panzerfunker, Schütze, Flieger, Sanitätssoldat und Matrose. Diese Dienste haben wenig mit Leichtigkeit, Sportsfreude und Spiel zu tun.

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