Tichys Einblick
Verdeckte Finanzierung von Medien

Geheime EU-Millionen: Brüssel finanziert Medien mit 132,82 Millionen Euro

Brüssel zahlte 132,82 Mio. Euro an Medien – ohne Transparenz über Empfänger und Zweck. „Il Fatto Quotidiano“ deckt auf: Zahlungen liefen über eine Agentur, Kontrolle fehlt. Hat die Europäische Union Einfluss auf die EU-Wahlen genommen?

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | J-P Badias

Brüssel hat im Rahmen der Europawahlen 132,82 Millionen Euro an Medienunternehmen ausgeschüttet – ohne vollständige Transparenz über Empfänger und Verwendung. Dies berichtet die italienische Zeitung Il Fatto Quotidiano und wirft der EU-Kommission sowie dem Europaparlament mangelnde Transparenz vor.

Die Mittelvergabe wurde unter der Leitung von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen organisiert. Unterstützt wurden sie vom Europäischen Rat, der Europäischen Investitionsbank sowie dem Wirtschafts- und Sozialausschuss. Diese Zuwendungen erfolgen zusätzlich zu den jährlich ausgeschriebenen Millionenbeträgen für Medien, deren Vergabepraxis bereits in der Vergangenheit kritisiert wurde.

Brisant ist nicht nur die Summe, sondern auch das Verfahren: Laut Il Fatto wurde ein Verwaltungsmechanismus genutzt, der es erlaubt, die einzelnen Zahlungen und ihre Empfänger geheim zu halten. Anstatt öffentliche Ausschreibungen für die Medienförderung durchzuführen, wurde ein sogenannter „Framework Contract“ genutzt, der sämtliche Mittel an die Werbeagentur Havas Media France (Vivendi-Gruppe) überträgt. Diese entscheidet anschließend über die konkrete Verteilung der Gelder – in Abstimmung mit der EU-Führung, jedoch ohne öffentliche Kontrolle.

Medien, die selbst als Kontrolleure staatlicher Institutionen fungieren sollten, stehen somit im Verdacht, von eben jenen Institutionen finanziell abhängig zu sein. Die zentrale Frage bleibt: Müssen solche Berichte als „bezahlte Inhalte“ oder gar als „Werbung“ gekennzeichnet werden? Und ist es legitim, Zahlungen über Intermediäre wie Havas abzuwickeln, wenn dies eine Nachverfolgung der Empfänger erschwert?

Weder Metsola noch von der Leyen geben detaillierte Auskunft über die Empfänger und Zweckbestimmung der Zahlungen. Ihr Sprecher verwies lediglich auf das bürokratische Verfahren zur „Akteneinsicht gemäß Artikel 15 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU“. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass Havas sicherstellen müsse, dass kommerzielle Interessen der Beteiligten nicht gefährdet werden.

Diese Praxis unterscheidet sich grundlegend von der in der Privatwirtschaft üblichen Vorgehensweise: Während Unternehmen Werbekampagnen über Agenturen steuern, um Produkte zu verkaufen, haben EU-Organe keinen solchen Verkaufszweck. Sie verfügen bereits über eigene Kommunikationsabteilungen, die für die Information der Bürger zuständig sind. Il Fatto stellt daher die Frage: Warum wird nicht völlige Transparenz über die Geldflüsse hergestellt?

Die Zeitung verweist auf frühere Recherchen, die bereits aufgedeckt hatten, dass große italienische Medienhäuser wie Rai, Mediaset, Sky, Corriere della Sera und Repubblica Zahlungen aus EU-Mitteln erhielten. Besonders brisant: Die Repubblica-Eigentümer Agnelli-Elkann haben mit dem Europaparlament und der EU-Kommission eine „Partnerschaft“ geschlossen, die eine Bezahlung für Berichte über die Europawahlen vorsah. Der ursprüngliche Vertrag über 62.000 Euro wurde nicht ausgeschrieben, weil er unter den Havas-Rahmenvertrag fiel. Ähnliche Abkommen sollen in mehreren europäischen Ländern bestehen – und damit möglicherweise auch in Deutschland.


Aktualisierung

Tichys Einblick wurde vom Verbindungsbüro des Europäischen Parlaments in Deutschland in Bezug auf den Artikel kontaktiert. Hiermit veröffentlichen wir die offizielle Stellungnahme vom 14. Februar 2025:

Unabhängige Medien sind der Eckpfeiler der europäischen Demokratie. Deshalb unterstützt das Europäische Parlament Medien durch verschiedene Initiativen. Hierzu zählt die Förderung von Medienprojekten in den 27 EU-Staaten. Diese Förderungen werden unter voller Wahrung der redaktionellen Freiheit vergeben.
 
Das Europäische Parlament vergab über seine Generaldirektion Kommunikation Medienförderungen, um die Bürgerinnen und Bürger auf zuverlässige und unvoreingenommene Weise über die Tätigkeiten des Europäischen Parlaments und seiner Mitglieder zu informieren. Diese Förderungen unterstützten die Zusammenarbeit mit verschiedenen Medien, um das Bewusstsein und das Verständnis für die Arbeit des Europäischen Parlaments zu verbessern, insbesondere – aber nicht nur – im Vorfeld der Europawahl 2024.
 
Für diese Förderungen wurden im Jahr 2023 insgesamt maximal 9.100.000 Euro veranschlagt. Das bedeutet, dass ein maximales Budget in dieser Höhe vorgesehen war. Das bedeutet aber nicht, dass dieser Betrag auch tatsächlich ausgegeben wird.
 
Die Liste der gewährten Förderungen ist öffentlich zugänglich: https://www.europarl.europa.eu/contracts-and-grants/en/grants/ex-post-publication.
 
Diese Förderungen wurden unter voller Wahrung der redaktionellen Freiheit gewährt.
 
Die Liste für das Jahr 2024 wird spätestens am 30. Juni 2025 veröffentlicht (Artikel 38 der Haushaltsordnung).
 
Das von Ihnen erwähnte Projekt mit dem italienischen Medium „La Repubblica“ ist Teil eines anderen Vorgangs.
 
Im Anschluss an eine offene Ausschreibung (veröffentlicht am 31. Oktober 2022, Ende der Bewerbungsfrist am 11. Januar 2023 – Referenznummer: COMM/AWD/2022/54) und unter voller Einhaltung der Haushaltsordnung (Artikel 160-177) unterzeichnete das Europäische Parlament einen Rahmenvertrag für Medienstrategie, -planung und –werbung (Vertragsnummer: COMM/DG/FWC/2023/30, Laufzeit von September 2023 bis September 2027).
 
Um volle Transparenz zu gewährleisten, werden die Einzelheiten des Vertrags online veröffentlicht: https://ted.europa.eu/en/notice/-/detail/655472-2023
 
Dieser Vertrag hat ein Maximalvolumen von 132,82 Millionen Euro über einen Zeitraum von vier Jahren. Dies ist der Höchstwert des interinstitutionellen Rahmenvertrags, auf den mehrere EU-Institutionen, nicht nur das Europäische Parlament, während seiner vierjährigen Laufzeit zugreifen können. Innerhalb dieses Vertragshöchstwertes hat das Europäische Parlament selbst eine Obergrenze von 50 Millionen Euro für den gesamten interinstitutionellen Rahmenvertrag.
 
Wichtig: Ein Rahmenvertrag legt die Bedingungen für potenzielle künftige Beschaffungen oder Dienstleistungen über einen bestimmten Zeitraum fest. Er legt zwar eine Obergrenze fest, verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber aber nicht zu einer bestimmten Menge oder einem bestimmten Volumen im Voraus. In den vergangenen 2,5 Jahren hat das Europäische Parlament 11 Millionen Euro im Rahmen dieses Rahmenvertrags verbraucht.
 
Der von der Agentur Havas, die den Zuschlag erhalten hat, vorgeschlagene Medienmix umfasst die Zusammenarbeit mit Medien, bei der die redaktionelle Freiheit der beteiligten Redaktionen gewahrt bleibt, und den Kauf traditioneller Werbeflächen.
 
So gehörte beispielsweise www.ilfattoquotidiano.it selbst zu den Medien, die von der Agentur vorgeschlagen wurden, um die Bürgerinnen und Bürger im Vorfeld der Europawahl zu erreichen.
 
Diese Elemente, die auch „Il Fatto Quotidiano“ zur Verfügung gestellt wurden, spiegeln alle Ausschreibungen für Medienaktionen und damit verbundene Projekte wider, die das Europäische Parlament in den letzten Jahren durchgeführt hat.
 
Für den Zugang zu bestimmten Dokumenten können die Bürgerinnen und Bürger Anträge gemäß Artikel 15 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union stellen: Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten.
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