Tichys Einblick
Holocaust-Gedenktag

Erinnerung an historischen Völkermord – Ignoranz des aktuellen Judenhasses

Gedenkfeiern 80 Jahre nach Befreiung des KZ Auschwitz: scheinheilig, unpolitisch, instrumentalisiert - jüdisches Leben ist weltweit in Gefahr – Israel isoliert und verhasst – Deutsche Außenpolitik freut sich mit der Hamas

picture alliance / dts-Agentur

Weltweit wird am Montag des Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vor 80 Jahren gedacht. Sowjetische Truppen fanden am 27. Januar 1945 in dem KZ der deutschen Nazis – auf heute polnischem Boden – gerade mal 7000 ausgehungerte, traumatisierte Menschen vor.

Insgesamt hatte die perfekt funktionierende Mordmaschinerie des Hitler-Regimes zwischen 1940 und 1945 etwa 1,3 Millionen Männer, Frauen und Kinder aus ganz Europa in das größte deutsche Vernichtungslager transportiert und dort ermordet. 90 Prozent der Opfer in dem weitläufigen Lagerkomplex am Westrand der polnischen Stadt Oswiecim (deutsch: Auschwitz) waren Juden.

2005 erklärte die UN den Tag der KZ-Befreiung zum internationalen „Holocaust-Tag“. Er soll eine Mahnung gegen Völkermord und Antisemitismus sein. Viele Politiker bemühen sich allerdings, die Erinnerung an dem Völkermord an Juden möglichst weit zu fassen, um ihn damit auch ein Stück zu verallgemeinern.

„Nie wieder“ mit dem starren Blick nach rechts

UN-Generalsekretär António Guterres beispielsweise betont gerne, der Tag erinnere auch an den Schrecken des Rassismus – diesen Vorwurf erheben heute echte und gefühlte Minderheiten weltweit gegen die westliche Welt und sogar gegen Israel. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verband jüngst seine Holocaust-Erinnerungsrede mit den Hinweis, dass man „Unrecht nicht dulden und nie mehr wegschauen“ dürfe.
Vor allem in der deutschen „Erinnerungskultur“ stehen die Gedenktage an die Nazi-Verbrechen für die Mahnung, dass es so etwas „nie wieder“ im deutschen Namen geben dürfe. „Wir tragen Verantwortung, dass sich der Holocaust nie wiederholen darf“, so Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bei einer Gedenkstunde für die NS-Opfer vor einem Jahr.

Bei fast allen Reden deutscher Politiker, selbst des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden (ZdJ), Josef Schuster, wirkt der Blick stets arg verengt auf nur einen einzigen Aspekt: nie wieder sollen rechtsextreme Antisemiten in Deutschland das Sagen haben. Dabei erfährt die kleine jüdische Minderheit im Land tagtäglich, dass die Hauptgefahr für das Leben der schätzungsweise 120 000 Juden in Deutschland erkennbar von der muslimischen Minderheit im Land und der politischen Linken ausgeht.

Juden in Deutschland im Ausnahmezustand

Auch eine ZdJ-Analyse kam im Oktober 2024 zu dem Ergebnis, dass jüdisches Leben insbesondere seit dem Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 verstärkt bedroht sei. Nicht nur seien seither die antisemitischen Straftaten „weltweit explodiert“, auch die jüdischen Gemeinden in Deutschland befänden sich inzwischen in einem „Ausnahmezustand“. Juden hätten zunehmend Angst und zögen sich ins Private zurück.

Am Holocaust-Tag 2025 wird besonders deutlich, wie wenig die Erinnerung an die ermordeten sechs Millionen Juden den heute lebenden Juden in irgendeiner Weise hilft. Zwar wird auf unzähligen Veranstaltungen und Gedenkfeiern, insbesondere in Deutschland, schon seit einer Woche an den Holocaust erinnert.

Gleichzeitig ist jüdisches Leben weltweit so bedroht wie schon lange nicht mehr; keine Gedenkveranstaltung in Deutschland, bei der die Örtlichkeiten nicht einem Hochsicherheitsareal ähneln – so auch bei dem Besuch von Kanzler Scholz am vergangenen Sonntag bei der jüdischen Gemeinde in Frankfurt.

Israel verhasster denn je

Der jüdische Staat, biblische Heimat des jüdischen Volkes und heute das größte und lebendigste Bollwerk gegen den jahrtausendealten Antisemitismus, scheint heute verhasster denn je. Allein in Frankreich haben in den letzten Jahren etwa 100 000 (der insgesamt 500 000) Juden aus zunehmender Angst um Sicherheit und Leben angesichts des aggressiven Judenhasses vor allem aus islamischen und linken Kreisen das Land verlassen. Menschen werden auch in vielen anderen Ländern verfolgt und getötet, weil sie Juden sind – was keineswegs nur bei dem schlimmsten Massaker an Juden seit dem Holocaust am 7. Oktober 2023 in Israel deutlich wurde.
Auch der UN-Menschenrechtschef Volker Turk warnte jetzt vor dem „grassierenden“ Antisemitismus in aller Welt. Juden seien heute zunehmender Einschüchterung, Drohungen und körperlicher Gewalt ausgesetzt. Der bevorstehende 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz sei „ein Weckruf für die Gefahren von Entmenschlichung, Selbstgefälligkeit und Apathie“, formulierte er dann wieder sehr allgemein.

Eine Mehrheit der Menschen in den USA, in Großbritannien, Frankreich, Österreich, Deutschland, Polen, Ungarn und Rumänien meint, dass es einen Völkermord an den Juden durchaus wieder geben könnte, so eine repräsentative, länderübergreifende Umfrage der in New York ansässigen, jüdischen Organisation „Conference on Jewish Material Claims Against Germany“.

Meisten Jugendlichen Frankreichs wissen nichts vom Holocaust

In den USA meinten 76 Prozent der Befragten, ein neuer Holocaust sei denkbar; in Großbritannien waren es 69 Prozent, in Österreich und Deutschland etwas mehr als 60 Prozent. Das Wissen über den Holocaust schwinde dramatisch, so die jüdische Organisation. Fast die Hälfte der jungen Erwachsenen in Frankreich habe gesagt, noch nie von dem Begriff gehört zu haben. Sehr viele Menschen bezweifelten, dass wirklich sechs Millionen Juden umgebracht worden seien.

Das alles bildet den aktuellen Hintergrund der diesjährigen Feierlichkeiten zum Holocaust-Gedenktag. Bei der zentralen Gedenkfeier in Auschwitz werden Repräsentanten aus aller Welt, darunter auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, König Charles aus Großbritannien, König Felipe aus Spanien und andere Staats- und Regierungschefs erwartet.

Netanjahu kommt nicht

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der von Polens Ministerpräsident Donald Tusk eingeladen worden war, nicht kommen. Die polnische Regierung hatte signalisiert, den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Netanjahu wegen angeblicher Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg nicht zu vollstrecken – was in Polen eine lebhafte innenpolitische Diskussion ausgelöst hatte.

Zum ersten Mal soll es bei der Gedenkveranstaltung in Auschwitz keine Reden von Politikern geben. Zu Worte kommen einige KZ-Überlebende sowie der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder und der Historiker Piotr Cywiński, Direktor des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau.

Angesichts des weltweit blühenden Antisemitismus scheint die Absage an politischen Reden zu belegen, dass Judenhass lediglich mit dem Blick in die Vergangenheit thematisiert werden soll – dabei ist der Antisemitismus so lebendig und so bedrohlich für Juden wie seit der Nazi-Zeit nicht mehr.

„Heuchlerische Gedenkkultur auf Kosten der Juden“

Wer wirklich an diesem Gedenktag an den Holocaust erinnern möchte, diesem Zivilisationsbruch, bei dem der Jahrtausende alte Antisemitismus seine entsetzlichste Form und sein monumentalstes Ausmaß annahm, der müsste sich in erster Linie mit dem Judenhass heute beschäftigen. Zum einen zeigen die Anfeindungen und Übergriffe gegen Juden und jüdische Einrichtungen in der ganzen Welt, dass es bei der aktuellen Nahost-Debatte keineswegs nur um Kritik an Israel geht.

Zum anderen sollte das Bestreiten des Existenzrechts des jüdischen Staates als deutlicher Ausdruck des ewigen Antisemitismus bewertet werden. Die Geschichte Israels seit der Gründung auf UN-Beschluss 1949 ist geprägt von Kriegen und Terrorismus – weil es bis heute kaum Akzeptanz eines jüdischen Staates gibt.
Es nützt den heute lebenden Juden wenig, wenn wortreich an den Holocaust erinnert wird – die aktuellen Gefahren für Juden aber kaum Thema sind. Kein Wunder dass die „Jüdische Rundschau“ titelt: „Heuchlerische Gedenkkultur auf Kosten der Juden“
Deutsche Politiker beteuern seit jeher, welche besondere Verantwortung gerade Deutschland für Israel habe; die Sicherheit Israels sei „Teil der deutschen Staatsräson“ hatte Ex-Kanzlerin Angela Merkel betont – und Kanzler Scholz diese Formulierung auch wiederholt. Deutschland Israel-Politik allerdings ist traditionell höchst widersprüchlich. Bei unzähligen UN-Resolutionen gegen Israel hat sich Deutschland der Stimme enthalten.

Die widersprüchliche Freundschaft Deutschlands mit Israel

Bei der Kritik an Israels Kriegführung in Gaza und im Libanon war die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) stets schnell dabei, Israels an Menschenrechte und Völkerrecht zu erinnern. Als kürzlich das Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas unterzeichnet wurde, das ohne den Druck von US-Präsident Donald Trump von Netanjahu kaum akzeptiert worden wäre, da freute sich Baerbock; sie sei „erleichtert“, weil „das Leid auf allen Seiten nun ein Ende finden kann“.

Auch die Grünen-Politikerin müsste wissen, wie fragwürdig die Freilassung aller israelischen Geiseln bleibt, wie eindeutig die jubelnde Hamas ihren Willen zum Kampf gegen Israel betont und wie gefährlich die vermutliche Freilassung von etwa 2000 palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen sein kann.
Als der IStrGH im vergangenen Herbst den Haftbefehl gegen Netanjahu erließ, wurde in Berlin betont, man werde sich an „internationales Recht“ halten – dabei bestreiten nicht nur Israel und die USA dem Gericht die Autorität, weltweit Anklagen erheben zu können.

Wenn sich Berlin aber entscheiden muss zwischen dem Schutz des demokratisch gewählten Führer des jüdischen Staates und einem fragwürdigen Gericht in Den Haag, dann scheint die Wahl sehr aussagekräftig. Es gibt für die deutsche Politik sichtlich wichtigeres, als den Respekt vor dem jüdischen Staat, der sich seit mehr als 75 Jahren in einem Abwehrkampf gegen die halbe arabisch-islamische Welt befindet – und für den der Holocaust eine stete Mahnung ist, wie es Juden ergeht, wenn sie schutzlos sind.


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