Tichys Einblick
Zerstrittene schwarz-rote Koalition

Die SPD macht das Regieren zum Angsthasenduell

Zu schlechtes Krisenmanagement, zu wenige Kompromisse. So hat sich die schwarz-rote Koalition schon nach zehn Wochen in eine schwere Krise gefahren – ihre (Un-)Verantwortlichen inszenieren Politik als Angsthasenduell.

Matthias Miersch, Fraktionsvorsitzender der SPD, spricht nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers, Berlin, 14.05.2025

picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Im Film „Footloose“ kommt es zum „Chicken Game“. Dabei fahren zwei Rivalen mit Traktoren oder Mähdreschern aufeinander zu. Wer zuerst bremst oder abspringt, hat verloren. In Footloose buhlen zwei Bewerber so um die Gunst der Pfarrerstochter. Für zwei junge Männer in der amerikanischen Provinz mag das ein angemessenes Verhalten sein. Dumm für Deutschland, dass die drittgrößte Industrienation der Welt von einer Koalition regiert wird, deren Vertreter ihren Zwist ebenfalls im „Chicken Game“ austragen.

Seit knapp zehn Wochen regiert Schwarz-Rot. Doch eigentlich steht seit November fest, dass Deutschland von dem regiert werden würde, was die alte Bundesrepublik – damals noch zu recht – „große Koalition“ genannt hat. Heute hat diese Koalition in den Umfragen keine Mehrheit mehr. Das, obwohl rund zehn Prozent der Wähler sich für Parteien entscheiden würden, die am Einzug ins Parlament scheitern würden. Dazu kommt noch das Fünftel der Bevölkerung, das gar nicht wählen gehen würde. Die „Volksparteien“, die einst die Bundesrepublik getragen haben, haben massiv an Vertrauen und Rückhalt verloren.

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Dafür gibt es viele gute Gründe. Das war auch schon so, bevor Anfang November die Ampel-Regierung zerbrach. Ihr Ansehen zu verbessern haben sich die ehemaligen „Volksparteien“ vorgenommen. Wenn sie regieren würden, so beschworen sie es seit der Wahl im Februar, dann würden sie sachlich zu Entscheidungen kommen und sich nicht permanent öffentlich streiten. Doch in der Realität regieren sie das Land seit dem Zusammenbruch der Ampel wie ein „Chicken Game“: Sie rasen aufeinander zu, bis einer bremst oder wenigstens abspringt – nur springt keiner rechtzeitig.

Viermal haben Union und SPD seit November ein „Chicken Game“ aufgeführt. Zweimal vor der Wahl, als es der CDU-CSU offiziell um den Kampf gegen die illegale Einwanderung ging. Zweimal danach: Als der Bundestag Friedrich Merz (CDU) zum Kanzler wählen sollte und am Freitag, als das Parlament drei frei werdende Richterstellen am Bundesverfassungsgericht besetzen sollte. In allen Fällen konnten – oder wollten – Union und SPD sich im Vorfeld nicht einigen. Die Traktoren krachten im Bundestag aufeinander, der musste seine Sitzung unterbrechen und die Koalitions„partner“ suchten hinter den Kulissen hektisch und verzweifelt nach Lösungen.

Im Film gibt es den Schurken und den Helden, der sich am Ende durch Zufall als der tapferere erweist – und der die Pastorentochter für sich gewinnt. Doch im richtigen Leben geht es nicht um die Gefühle einer verunsicherten Abiturientin mit Vaterkomplex. Im richtigen Leben geht es um die Traktoren. Denn die stehen für das Land, das die Protagonisten willentlich zerstören, wenn sie das Land wie hormongesteuerte Provinzlinge führen, denen es vor allem um die eigene Profilierung geht.

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Nach der verpatzten Richterinnenwahl im Bundestag hat die SPD eine Serie von neuen „Chicken Games“ versprochen. Hinter den Kulissen kündigten die Sozialdemokraten gegenüber Journalisten an, die Union als Revanche „quälen“ zu wollen. 850 Milliarden Euro nimmt diese Bundesregierung auf. Schulden, die heutige Kinder noch im Jahr 2085 abzutragen haben. Was für eine Verantwortung. Aber die liegt in den Händen von (Un-)Verantwortlichen, die schon nach zehn Wochen Regierung den Kampf gegen den eigenen Partner zum obersten Ziel der Koalition erklären. Gegenüber Schwarz-Rot wirkt die Ampel mit einem Schlag wie ein Hort der Vernunft.

Für das „Quälen“, das sich die SPD vorgenommen hat, gibt es schon erste faktische Beispiele: Sozialministerin Bärbel Bas hat die dringend notwendige Reform des Bürgergelds auf unbestimmte Zeit abgesagt. Justizministerin Stefanie Hubig fordert öffentlich eine Verlängerung der „Mietpreisbremse“ über 2029 hinaus – obwohl im Koalitionsvertrag das Gegenteil steht. Und der Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch will die Abtreibungsbefürworterin Frauke Brosius-Gersdorf den Christdemokraten nach der Sommerpause nochmal zur Wahl als Verfassungsrichterin vorsetzen.

Wäre es noch das oberste Ziel von Schwarz-Rot, das Land aus seiner multiplen Krise hinaus zu führen, dann käme es auf die Fraktionsvorsitzenden an. Sie entscheiden in einer Koalition grundsätzlich darüber, ob diese friedlich und zielgerichtet zusammenarbeitet – oder ob sie sich zu „Chicken Games“ im Parlament verabredet. Mit Jens Spahn führt die Unions-Fraktion ein politisches Schwergewicht, das aber zum einen angeschlagen ist durch seine Verstrickung in den Maskenskandal – und das in den letzten Jahren mehr damit beschäftigt war, selbst von seinem Talent zu schwärmen, als es tatsächlich zu zeigen.

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Miersch ist ein Leichtgewicht. Er hat sich schweigend und mitlaufend nach oben gedient, bis er selbst in eine Führungsrolle geraten ist. Miersch verkörpert das Peter-Prinzip. Er führt ein Amt so, dass jeder sehen kann, wie sehr er damit überfordert ist. Bei 15 Prozent steht eine Partei in den Umfragen, die vor gut 50 Jahren noch das Dreifache an Stimmen erreicht hat – und auf den Totalunfall im Bundestag reagiert der verantwortliche Sozialdemokrat mit der Ankündigung des nächsten „Chicken Games“. In fester Zuversicht, beim nächsten Mal bremsen die Christdemokraten schon.

Wörtlich übersetzt heißt Chicken Game „Hühnchenspiel“. Inhaltlich treffender wären „Feiges Hühnchen“-Spiel oder hübscher Angsthasenduell. Sich in Mutproben zu beweisen, ist was für kleine Jungs und Mädchen, die in der Grundschule ihre Hackordnung festlegen. Schon für Jugendliche, die um eine Pastorentochter werben, ist das ihrem Alter unangemessen. Für die Verantwortlichen der drittgrößten Wirtschaftsnation ist das unverantwortlich. Allzumal, wenn sie ihr Land gerade auf einen Schlag um zusätzliche 850 Milliarden Euro verschuldet haben.

Verantwortliche Politiker müssen ein „Bürgergeld“ reformieren, dessen Kosten dem Staat davon laufen, das Arbeiten unrentabel macht und Clans zum systematischen Betrug einlädt. Sie müssen es akzeptieren, dass Christdemokraten keine linke Aktivistin zur Verfassungsrichterin wählen können, die lebensfähige Kinder im Mutterleib töten lassen will. Entweder die SPD findet in der Regierung zu einem verantwortungsvollen Stil zurück oder die Partei erlebt, dass sie von 45 auf 15 Prozent fallen kann, ohne dass an dem Punkt für sie der Boden erreicht sein muss.

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