Tichys Einblick
Bericht zum Scheitern in Afghanistan

Deutschland ist ohne die USA ziel- und wehrlos

Wenden sich Deutschland und die EU weiterhin gegen die Meinungsfreiheit, könne die USA nichts mehr für sie tun, hat Vizepräsident JD Vance die Partner gewarnt. Doch was bedeutet das praktisch? Deutschland wäre auf seine eigenen Geheimdienste angewiesen und die sind hoffnungslos unfähig.

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Rund 1400 Seiten weist der Bericht des Untersuchungsausschusses zum deutschen Versagen in Afghanistan auf. In diesem Ausschuss haben die handelnden Personen des Sommers 2021 versucht, ihr Wirken beschönigend darzustellen. Darunter die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Außenminister Heiko Maas (SPD). Doch trotz der die eigene Person schonenden Aussagen schillert eine brutale Unfähigkeit durch, die zu dem entsprechenden Versagen geführt hat.

Das betrifft auch die Rolle des Auslandsgeheimdienstes, des Bundesnachrichtendienstes (BND). Die meisten Zeugen aus den Reihen des Geheimdienstes treten in dem Protokoll des Ausschusses nicht namentlich auf, nur mit ihrer Funktion innerhalb des BND. Übereinstimmend sagen sie aus, dass sie bis zum 30. Juni 2021, dem Datum des deutschen Abzugs aus Kabul, ein gutes bis sehr gutes Lagebild über Afghanistan gehabt haben. Nur über die Führung der Taliban habe man wenig gewusst.

Diese Aussage muss man auf sich wirken lassen. Sie soll die Rolle des BND beschönigen – ist aber letztlich vernichtend. Ein Vergleich aus dem Fußball kann das veranschaulichen: Wir wussten alles, nur nichts über die Führung der kommenden Herrscher… Das ist so, als ob sich die Scouting-Abteilung von Bayer Leverkusen rühmen würde, alles über den FC Bayern München zu wissen: die Lieblingsdisco des Torhüters der B-Jugend oder die Zigarrenmarke des Platzwartes. Nur halt nicht die taktische Aufstellung der ersten Elf.

Klingt zu weit hergeholt als Vergleich? Auf der Fußballebene ja, auf der Bezugsseite nicht. Denn in der entscheidenden Phase in Afghanistan setzte der BND einen ganz eigenen Schwerpunkt. Die Phase begann am 29. Februar 2020 mit dem Abkommen von Doha, das den Abzug der US-Armee zu einer Frage der Zeit machte, und sie endete im August 2021 mit der endgültigen Machtübernahme der Taliban in ganz Afghanistan.

Ende Februar 2020 bis August 2021? Richtig. Für den BND war das die Zeit der Corona-Pandemie. In Afghanistan töteten die Taliban unterdessen gezielt Mitarbeiter und Vertreter der von den USA eingesetzten Regierung. Dem deutschen Nachrichtendienst ging es aber am Hindukusch in erster Linie darum, die heimischen Pandemie-Auflagen einzuhalten. Ein Referatsleiter des BND sagte dazu im Ausschuss: „Maßgeblich beeinflusste dies das Reinrotierenlassen von bestimmten Mitarbeitern in bestimmten Regionen.“ Während militante, religiöse Fanatiker auf dem Vormarsch waren, beschränkte der deutsche Nachrichtendienst seine Kontakte freiwillig, um die Verbreitung eines Grippe-Virus in der afghanischen Hitze zu reduzieren.

Klingt nach Komödie? Da gibt es noch weiteres Humor-Potenzial. Im Sommer 2021 hätte sich Deutschland eigentlich um den Abzug seiner Kräfte kümmern müssen. Auch um die Frage, welche einheimischen Helfer wirklich aus dem Land gebracht werden müssten – und welche nach Deutschland kommen können, ohne eine Gefahr für dessen innere Sicherheit zu werden. Doch worum kümmerte sich die deutsche Militärverwaltung stattdessen? Um 23.000 Liter Bier und Wein. Die wollte man nicht vor Ort entsorgen, um die islamischen Nahrungsvorschriften Afghanistans nicht zu gefährden. Also transportierte Deutschland den Alkohol vom Hindukusch nach Hause – für 30.000 Euro. Während gleichzeitig die Taliban Ort für Ort eroberten oder aus dem Untergrund heraus Menschen ermordeten. Hätte dieses Regime nicht tausende von Menschen abgeschlachtet, nicht unersetzbare Kultur zerstört und Frauen brutal unterdrückt, ließe sich über das deutsche Verhalten in Afghanistan herzhaft lachen.

Der Bericht des Untersuchungsausschusses zeigt auf, von welcher Seuche die deutsche Politik befallen ist – und mittlerweile auch ihre Dienste und Behörden. Und wie sich diese Seuche auswirkt. Es geht um die fatale Tendenz, zu glauben, starke Gesten und Symbole könnten echte Politik ersetzen. 18 Monate hatte Deutschland nach dem Doha-Abkommen Zeit, den Abzug vorzubereiten. Das ist stramm, aber machbar. Doch stattdessen übte sich die deutsche Verwaltung in Symbolpolitik.

Zwei Politiker versagten dabei komplett: aktiv Außenminister Maas. Der nahm den 2020 noch amtierenden US-Präsidenten Donald Trump nicht ernst. Doch wie sich zeigte, war es der Saarländer, dessen Bild von der Realität näher an der phantastischen Welt der Mittelerde dran war, als an dem von der tatsächlichen Erde. Maas inszenierte auf internationaler Ebene Arbeitsgruppen, die sich fern der Realität mit Fragen beschäftigten, wie sich der Beschluss der USA rückgängig machen ließe oder wie die Nato ohne ihre Führungsmacht am Hindukusch weitermachen könnte. Passiv versagte Kanzlerin Angela Merkel. Um in der Koalition keinen Krach zu bekommen und in der Heimat kein Thema für den Wahlkampf, ließ sie den Sozialdemokraten einfach machen.

Ziemlich bald zeigte sich aber – selbst einem Phantasten wie Maas –, was Deutschland ohne die USA militärisch kann. Spoileralarm: nahezu gar nichts. Vor allem in der Beherrschung von Raum durch militärische Luftaufklärung ist Deutschland auf Gedeih und Verderben von seinem großen Bruder abhängig. Diese Erfahrung wiederholt sich derzeit in der Ukraine. Schon vor Maas redete ein Außenminister namens Frank-Walter Steinmeier (SPD) davon, dass die Truppen der EU diese Defizite aufholen müssten. Nach Maas setzte Annalena Baerbock (Grüne) diese Tagträumereien fort. Passiert ist aber nichts. Außer Gerede.

In Sachen Geheimdienst ist Deutschland ebenso abhängig von den USA. Zwar konnten hierzulande seit 2001 viele islamistische Anschläge vereitelt werden. Aber fast immer nur auf Hinweis aus den USA. Wenn die amerikanischen Dienste kein Interesse daran haben, ihr Wissen mit den deutschen Diensten zu teilen, dann zeigt sich deren eigene Hilflosigkeit. Etwa im Afghanistan-Versagen.

Der Phantast Maas setzte alles auf einen Wahlsieg Joe Bidens im November 2020. Der würde dann ab Januar 2021 Trumps Rückzugspläne rückgängig machen und gemeinsam würde man den Einsatz in Afghanistan fortsetzen. Eine gemeinsame Demo gegen Rechts durch Kabul wäre eine nette Idee gewesen. So als Symbol. Doch mit seiner Einschätzung lag Maas im entscheidenden Punkt falsch. Zwar gewann Biden die Wahl, aber er dachte gar nicht daran, die Politik seines Vorgängers zu korrigieren. Auch er sah, dass Afghanistan den USA zu hohe Kosten verursachte angesichts des zu niedrigen geostrategischen Wertes des Berglandes mit seiner hohen Quote an Analphabeten.

Im April 2021 machte Biden seinen Partnern deutlich, dass er seine Armee bis spätestens 11. September 2021 aus Afghanistan abziehen werde. Spätestens. Ein sprachbegabter Fünftklässler hätte verstanden, dass dies auch früher bedeuten könnte. Falls nicht, hätte ihn ein umsichtiger Lehrer darauf hingewiesen. Leider wurde Deutschland 2021 weder von einem umsichtigen Lehrer noch von einem sprachbegabten Fünftklässler geführt – sondern von Angela Merkel und Heiko Maas. Für die kam der amerikanische Abzug im Juni trotz alledem überraschend. Und was ist schon passiert? Man hatte die Amerikaner ja fast komplett richtig verstanden, bis auf die Bedeutung des einzigen Wortes „spätestens“. Details.

Klingt nach Ironie – ist aber tatsächlich eine realistische, wenn auch zynische Betrachtung des deutschen Totalversagens in Afghanistan. Denn auch der deutsche Geheimdienst begnügt sich damit und feiert sich dafür, fast richtig zu liegen. So hatte der BND bereits 2013 in einem Papier formuliert, dass die afghanische Marionetten-Regierung nicht stabil ist und früher oder später die Taliban wieder die Macht übernehmen würden. Im November 2020 bestätigte der BND diese Einschätzung. So weit, so den Job gemacht. Doch im November 2020 verkündete der BND, die Machtübernahme der Taliban drohe „langfristig“. Ein halbes Jahr später war es soweit. Langfristig. Kinders, wie die Zeit vergeht.

Wie schon Maas und Merkel sieht der BND es als ausreichend an, sich der Realität bis auf ein einziges Wort zu nähern. CDU und FDP verteidigten den Geheimdienst ausdrücklich dabei. Sie meinten, der BND habe ja alles richtig vorausgesagt, sich nur in der Zeit geirrt. Das ist so, als ob Bayer Leverkusen am Sonntag zur Partie gegen Bayern München angetreten wäre und auf leerem Spielfeld 20 Tore erzielt hätte. Im Grunde hat man dann ja den Tabellenführer vernichtend geschlagen, man hat sich halt nur um einen Tag im Datum vertan. Details.

Rund 20 Jahre hat der deutsche Einsatz in Afghanistan gedauert. Er war von sozialdemokratischem Geschwafel wie der Verteidigung der deutschen Freiheit am Hindukusch geprägt. Reine Symbolpolitik. Was gefehlt hätte, sei ein strategisches Ziel, beklagt die militärische Führung im Ausschuss. An Realpolitik mangelte es. Weder habe die Regierung das strategische Ziel gesetzt, den Einsatz auf jeden Fall durchzuziehen – verbunden mit der Frage, was dazu getan hätte werden müssen. Noch hat sich die Regierung die strategische Frage gestellt, was zu tun ist, wenn der Einsatz scheitert und wie danach die Situation zu handeln ist. Das zeigt sich in der heutigen Außenministerin Baerbock, die das Geld der feministischen Außenpolitik in die Hände der schlimmsten Frauenunterdrücker der Welt gibt.

Das Versagen in Afghanistan ist dabei kein einmaliges Scheitern, wie es in der Politik und im Leben mal passieren kann. Es ist vielmehr Ausdruck der systematischen Probleme Deutschlands: das Verharren in der phantastischen Welt der Symbolpolitik, statt sich den Notwendigkeiten der Realpolitik zu stellen. Die Unfähigkeit zur Prioritätensetzung, wenn die heimische Corona-Verordnung als wichtiger gilt als das Anrücken militanter Fanatiker. Oder die Betonung der eigenen kulturellen Sensibilität im Umgang mit dem islamischen Alkoholverbot – während gerade ein Staat zusammenbricht. Vor allem aber die militärische und geheimdienstliche Abhängigkeit von den USA. Wenn deren Vizepräsident solch überforderten Verbündeten droht, ihnen künftig nicht mehr helfen zu können – dann sollten die das sehr ernst nehmen. Sie sind von dieser Hilfe massiv abhängig. Und ohne sie ziel- und wehrlos.

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