Kein einfacher Abend. Jeder redet, wann er will. Hochkochende Emotionen, geschwollene Halsschlagadern – und eine Frau, die ständig mit dem ausgestreckten Finger auf das Opfer zeigt, das sich die Runde auserkoren hat.
Pech: Das Opfer pariert nicht. Tino Chrupalla, Co-Chef der AfD, ist so angriffslustig wie selten zuvor. Vier Gegner? Kein Problem.
Dabei beginnt die Sendung recht gesittet. Der umstrittene US-Korrespondent Elmar – „Joe Biden ist geistig topfit“ – Theveßen darf erklären, was es mit Trumps Übernahmeplänen für den Gaza-Streifen auf sich hat (ist wohl nur ein privates Immobilienprojekt des US-Präsidenten …). Erstaunlich: Chrupalla darf sich anschließend wie alle anderen ganz ruhig äußern, ohne dass er sich, wie sonst üblich, erstmal als „Nazi“ zu rechtfertigen hätte.
Als es um die Ereignisse der vergangenen Woche im Bundestag geht, geraten Chrupalla und Linken-Urgestein Gregor Gysi erstmals aneinander. Gysi dankt allen Abgeordneten, die den CDU-Antrag zur Migration durch Nichterscheinen torpedierten. Chrupalla kritisiert, es müsse sich endlich etwas ändern in der Migrationspolitik. „Sie verachten die Demokratie, indem sie uns ausschließen.“ Die Zusammenarbeit mit der AfD sei auf kommunaler Ebene längst gängige Praxis, doch der Bundestag verweigere sich der Demokratie. Und das, obwohl CDU-Chef Friedrich Merz „eins zu eins unsere Forderungen kopiert“ habe.
Der Sachse ist im Angriffsmodus. Und lobt erstmal in Ruhe das Bündnis Sahra Wagenknecht: „Das BSW hat, was Migration angeht, den wesentlich größeren Weitblick als die Linke. Also von daher kann ich nur jedem linken Wähler empfehlen, eher das BSW zu wählen als Ihre Partei.“ Gysi ist ungewohnt leise. Dem Problem steigender Migrantengewalt hält er seine Tränendrüse entgegen: „Wenn meine Großmutter nicht in Frankreich Asyl bekommen hätte, hätte sie die Nazizeit nicht überlebt. Meine Urgroßmutter ist in Auschwitz umgebracht worden.“ Darum gehe es doch gar nicht, stöhnt Chrupalla: „Sie vergleichen falsch.“ Lanz hakt nach: „Würden Sie es einfach so weiterlaufen lassen, Herr Gysi?“ Der lässt seine Oma wieder fallen und versteigt sich darauf, es würden jährlich bis zu 600.000 Fachkräfte fehlen, „weil ansonsten unser Gesundheitswesen zusammenbricht, unsere Pflege zusammenbricht, die Gaststätten, die Hotels“.
Lanz lässt Alice Weidel einspielen, die die Grenzen schließen will. Das böse Wort Remigration fällt. Zeit, dass sich die Dame des Abends einschaltet: „Das ist das Tor zur Hölle“, posaunt Antje Höning von der darbenden Zeitung „Rheinische Post“. Mit geschlossenen Grenzen „ruinieren Sie die deutsche Wirtschaft“. Chrupalla stellt klar, dass es nur darum gehe, illegale Einwanderer draußen zu halten, doch Höning hört nicht zu: Man brauche doch Fachkräfte. Und die würden nicht kommen, „weil Sie die Stimmung so ruinieren“. Die AfD sei ein „Standortrisiko“. Chrupalla nimmt es volley: „Standortrisiko ist eine Ampelregierung. Aktuell wandert die Industrie und auch der Mittelstand ab. Nicht wegen der AfD.“ Höning, angeblich Wirtschaftsfachfrau in ihrer Redaktion, warnt dennoch munter weiter: Mit einer AfD-Regierung würden sich die Energiekosten und Steuern „dramatisch verschärfen“.
Während sie kurz Luft holen muss, spielen sich Blome und Gysi die Bälle zu. Beide wollen Chrupalla mit Zitaten aus dem AfD-Wahlprogramm festnageln, doch Chrupalla fährt ihnen sofort in die Parade. Problem: Beide zitieren unsauber, sowohl beim Thema Remigration (Blome) wie auch bei den Verteidigungsausgaben (Gysi). Den Hinweis darauf lässt sich ein Blome aber nicht so einfach gefallen. „Stopp, jetzt rede ich“, unterbricht er Chrupalla. Langsam wird es ungemütlich in der Runde. Alles redet durcheinander. Chrupalla stellt klar: „Die einen Arbeitsplatz haben, die sich nicht in die soziale Hängematte legen, die der deutschen Sprache mächtig sind, die sich auch unserer Kultur ein Stück weit anpassen, die sind herzlich willkommen.“ Lanz ist überrascht: „Das ist ja interessant: Also die AfD sagt: Wir wollen Migration!“ Für ihn ist das offenbar eine Neuigkeit.
„Warum wollen Sie denn Ausländer schlechter behandeln als Deutsche?“, fragt Blome scheinheilig. „Ich werde von deutschen Staatsbürgern gewählt“, antwortet Chrupalla, „und ich vertrete die Interessen der deutschen Bevölkerung.“ Höning hat Luft geholt: „Gottseidank vertreten Sie nur ein Fünftel der Stimmen“, blafft sie dazwischen. „Ist doch in Ordnung“, ruft Blome. Dann wieder Höning, dann wieder Blome. Chrupalla platzt die Hutschnur: „Lassen Sie mich doch mal ausreden. Sie müssen nicht alle von allen Seiten mich tribunalmäßig hier jetzt angeifern.“ Blome schwillt die Halsschlagader: „Schön, Herr Schupalla.“ Chrupalla will „Interessen der deutschen Bevölkerung und nicht von Ausländern!“ durchsetzen. EinSatz wie Donnerhall, unerhört im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Ja, darf der das? So was wollen und auch noch sagen?
Lanz hat noch zwei Namen im Säckel, die immer gern gesehen sind – in Abwesenheit als Teufel an der Wand: den thüringischen AfD-Chef Björn Höcke und Martin Sellner, „ein bekannter Rechtsradikaler aus Österreich“ (Lanz). Chrupalla möge sich doch bitte distanzieren, aber ordentlich, wenn’s geht. Doch der weigert sich einfach.
Lanz bohrt weiter: Aber ein Sellner würde „das Wort Remigration ganz anders einsetzen und verstehen“. Damit hat er sich die Antwort eigentlich schon selbst gegeben. Chrupalla erklärt es ihm trotzdem nochmal: „Und genau deshalb haben wir das Wort Remigration in unserem Wahlprogramm erklärt. Damit man es nicht missdeuten kann.“ Er sehe keinen Grund, sich „von irgendwelchen Sätzen in irgendwelchen Büchern“ zu distanzieren. „Vielleicht will sich Herr Blome von seinen unsäglichen Aussagen in der Coronazeit distanzieren.“ Auch Lanz selbst kassiert eine Breitseite: „Das machen Sie doch für Herrn Böhmermann auch nicht.“
Es geht weiter wild durcheinander. „Nazis gehören nicht zu einer Volkspartei“, tönt Blome. Höning wirft irgendwas mit „Mein Kampf“ in die Runde. Dass die AfD die Rente auf 70 Prozent anheben will, findet sie „besonders absurd“. Chrupalla: „Frankreich, Spanien, Griechenland, alle können sich das leisten, weil die Deutschen es durch ihre EU-Beiträge finanzieren.“ Für Höning ist das „der dümmste Populismus überhaupt“. Ihr Redefluss scheint unbesiegbar. Sogar Blome bremst sie irgendwann ein. Sie kontert trotzig: „Wir müssen ihm den Zahn ziehen.“ Chrupalla: „Das gelingt Ihnen heute nicht.“
Chrupalla verspricht so hohe Freibeträge, dass eine Familie mit drei Kindern überhaupt erst ab 70.000 Euro Steuern zahlen müsse. Das sei problemlos finanzierbar, denn: „Wir haben kein Einnahmenproblem. Wir haben ein Ausgabenproblem.“ Als er die Misere auflistet, wird es nochmal brenzlig: „Wo wir überall Geld hin verteilen – Entwicklungshilfe: elf Milliarden, Klima und Transformationsfonds: 53 Milliarden, Ukraine-Hilfe: 30 Milliarden jetzt schon, drei Milliarden noch bis zur Bundestagswahl. Gelder, Gelder, Gelder. Und natürlich die Migration, die den Kommunen das Genick bricht.“
Lanz unterbricht hastig: „Lass uns weg von diesem Thema.“