Tichys Einblick
Blamage beim Bund

Bundeswehr kann Milliarden nicht ausgeben

Die Bundeswehr weiß buchstäblich nicht, wohin mit dem ganzen Geld: Über vier Milliarden Euro konnte sie im vergangenen Jahr nicht nutzen. Verteidigungsminister Boris Pistorius ruft nach immer mehr Mitteln – und muss sie dann wieder an die Bundeskasse zurückgeben.

IMAGO / Noah Wedel

Die Bundeswehr hat im vergangenen Jahr 4,36 Milliarden Euro weniger ausgegeben als geplant. Das hat ein Sprecher von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Dienstag offiziell bestätigt.

Nicht abgerufen wurden demnach rund 2,6 Milliarden Euro aus dem sogenannten „Sondervermögen“ sowie rund 1,7 Milliarden Euro aus dem regulären Verteidigungsetat, also aus dem „Einzelplan 14“ des Bundeshaushalts.

Für SPD-Mann Pistorius ist das eine riesige Blamage. Er wird ja nicht müde, immer mehr Geld für sein Haus und für die Truppe zu verlangen – und er bekommt auch immer mehr Geld. Von 46,9 Milliarden im ersten Ampel-Jahr 2021 stieg das Budget des Verteidigungsministeriums auf 51,9 Milliarden in 2024 – plus noch einmal 20 Milliarden aus dem Sondervermögen. Aktuell streitet die Bundesregierung um drei Milliarden Euro für neue Ukraine-Militärhilfen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will dafür die Schuldenbremse aussetzen.

Geld schießt keine Tore, heißt es im Fußball. Für die Bundeswehr gilt: Geld alleine schießt gar nicht.

Aber wie kann das sein? Es ist doch hinlänglich bekannt, dass es bei der Truppe an allen Ecken und Enden fehlt. Stimmt das etwa nicht, waren all die Horror-Berichte übertrieben oder falsch?

Waren sie nicht.

Die Bundeswehr hat Probleme, gigantische sogar. Es fehlen Funkgeräte, sodass verzweifelte Soldaten bei NATO-Manövern mit ihren nicht abhörgesicherten privaten Smartphones miteinander kommunizieren. Es fehlen Zelte für Übungen im Feld. Es fehlt warme Unterwäsche für die kalten Monate. Ein Großteil der vorhandenen Ausrüstung wird gerade repariert oder funktioniert überhaupt nicht mehr. Im Jahr 2018 hatte die Bundeswehr 224 Leopard-2-Panzer. Von denen waren nach Angaben des Verteidigungsministeriums ganze 104 einsatzfähig.

Im Jahr 2020 sah der Bundesrechnungshof die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr wegen des schlechten Gesamtzustand des Materials bedroht. Im Jahr 2023 bewertete der Rechnungshof die reibungslose materielle Versorgung der von Deutschland gestellten Brigade für die „Schnelle Eingreiftruppe“ der NATO als gefährdet. Unvergessen bleibt die Beschämung, als Deutschland im Jahr 2022 der Ukraine 50 Gepard-Panzer liefern wollte und man dann in Berlin verblüfft feststellte, dass man für die Kampffahrzeuge gar keine Munition mehr hatte.

Lücken gibt es also reichlich. Warum kann die Bundeswehr das vorhandene Geld nicht nutzen und die vielen vorhandenen Mängel nicht ausgleichen? Die Antwort ist wenig schmeichelhaft für Boris Pistorius. Denn das PR-Talent erscheint nach außen als anpackender Macher. In Wahrheit hat der sozialdemokratische Umfragen-Überflieger sein Ministerium nie in den Griff bekommen.

Das Hauptproblem hat einen Namen: Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr. Das ist die zentrale und einzige Beschaffungsstelle der Truppe. Die

Behörde entstand durch die Verschmelzung des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) mit dem Bundesamt für Informationsmanagement und Informationstechnik der Bundeswehr (IT-AmtBw). Diese beiden Vorgänger-Behörden galten als ineffizient und langsam. Also taten unsere Politiker so, als würden sie etwas tun, um das Problem aus der Welt zu schaffen: Sie machten aus den beiden kritisierten kleineren Ämtern ein einziges neues, großes Amt.

Aber auch wenn man zwei Steine zusammenbindet, können sie eben nicht fliegen.

Probleme der Einheit

Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung Deutschlands waren sowohl die Bundeswehr als auch die Nationale Volksarmee (NVA) jeweils hervorragend und modern ausgerüstete Organisationen. Nachdem die NVA in die Bundeswehr integriert wurde, hatte die neue gesamtdeutsche Bundeswehr aber ein Luxusproblem:

Sie war viel zu groß.

Gemäß den Vereinbarungen aus dem 2+4-Vertrag musste sie massiv Personal schrumpfen. Gleichzeitig verfügte sie über riesige Hinterlassenschaften an Material, das während des Kalten Kriegs in Ost und West angehäuft worden war. Mit immer weniger Soldaten gab es keinen Bedarf, neues Material anzuschaffen. Man hatte von dem alten ja noch zu viel. Es wurde hier und da ein bisschen modernisiert, aber in einem scheinbar friedlichen Europa fehlte dabei der Leidensdruck und folglich auch die Ernsthaftigkeit.

Deshalb entwickelte die Armee des wiedervereinigten Deutschlands nie eine echte Kompetenz im Beschaffungswesen.

Das wird sehr deutlich, wenn man uns mit anderen Ländern vergleicht. Im Jahr 2020 gab Deutschland für die Landesverteidigung 5,8 Milliarden Euro mehr aus als Frankreich. Aber mit viel weniger Geld unterhalten die Franzosen eine deutlich größere Truppenstärke, deutlich mehr Reservisten, die gleiche Anzahl von Lenkwaffen, Raketenwerfern und Kampfhubschraubern – und haben sogar deutlich mehr gepanzerte Fahrzeuge. Frankreich hat eine viel größere Marine. Und Frankreich hat Atomwaffen.

Und all das mit weniger Geld.

Der Bundeswehr fehlt es nicht an Kohle, sondern an Effizienz. Boris Pistorius hat es in seiner Amtszeit in keiner Weise geschafft, diesen Missstand auch nur im Ansatz zu beheben. Schlimmer noch: Der populärste deutsche Politiker hat es noch nicht einmal ernsthaft versucht.

Dabei sind die deutschen Soldaten international angesehen. Wenn sie es mal schaffen, die nötige Ausrüstung zusammenzubetteln, erzielen sie z. B. bei NATO-Manövern regelmäßig sehr gute Ergebnisse. Nicht die die kämpfende Truppe ist das Problem, sondern die Logistik und das Beschaffungswesen und die Verwaltung.

Und dort ist nicht fehlendes Geld das Problem, sondern wofür es ausgegeben wird.

Im Jahr 2021 hat Frankreich 29 Prozent seines gesamten Wehretats in neues Material investiert. Deutschland gab dafür nur 19 Prozent aus. In Frankreich gingen 26 Prozent in die Verwaltung der Armee und in Reparaturen. In Deutschland waren es unfassbare 37 Prozent. Und dieser Wartungs- und Reparaturanteil steigt auch noch unaufhörlich. Das liegt daran, dass der Anteil an veraltetem Gerät immer weiter wächst. Man kennt das vom Auto: Je älter die Karre, desto teurer werden die Besuche in der Werkstatt. Das ist mit Rüstungsgütern ganz genauso, nur geht es da nicht um ein paar Tausender, sondern schnell um ein paar Milliarden.

Das legendäre Segelschulschiff Gorch Fock sollte für zehn Millionen Euro zwei Jahre lang überholt werden. Am Ende hat die Generalsanierung sieben Jahre gedauert und 135 Millionen gekostet – doch man wollte sich einfach nicht von dem Kahn trennen. Das Festhalten an altem Equipment treibt die Kosten für die Instandhaltung jedes Jahr weiter nach oben. Doch die Beschaffungskünstler im Bundesamt reparieren lieber ein 60 Jahre altes Segelschiff, statt für dasselbe Geld eine moderne Fregatte anzuschaffen.

Und selbst wenn einmal wirklich neues Gerät gekauft werden soll, versagt das Beschaffungswesen der Bundeswehr. Zehn (in Zahlen: 10) Jahre warteten Soldaten auf dringend benötigte neue Helme. Warum? Das Modell wird zwar seit vielen Jahren vom US-Militär genutzt, ist also ausgiebig kampferprobt. Trotzdem wurde zehn Jahre lang der Beschaffungsauftrag nicht unterzeichnet – weil das Amt die Helme noch weiter testen wollte.

Was in Russland die Korruption anrichtet, schafft in Deutschland die Bürokratie.

Zwischen 2014 und 2021 hat Deutschland knapp 55 Milliarden Euro für neues Gerät ausgegeben. Frankreich, mit einem etwas kleineren Verteidigungshaushalt, gab im selben Zeitraum 96 Milliarden aus, Großbritannien sogar 108 Milliarden.

Damit man sich eine kleine Vorstellung davon machen kann, was diese Unterschiede bedeuten: Für die 41 Milliarden Euro, die Frankreich in dieser Zeit mehr für Gerät ausgeben hat als Deutschland, würde man zwei atombetriebene Flugzeugträger bekommen. Oder mehr als 500 Jets vom Typ F-35. Oder genug Kampfdrohnen, um damit ganz Hessen zuzupflastern.

Die galoppierende Unfähigkeit in der Ministerialbürokratie und in der Bundeswehrverwaltung selbst führt zu einer unerwarteten Form von Abschreckung: Sie schreckt potenzielle Mitarbeiter ab.

Welcher halbwegs vernunftbegabte junge Mensch verpflichtet sich denn bei einem Klub, der es drei Jahre lang nicht schafft, genügend Zelte für Manöver zu beschaffen – also ein Problem in den Griff zu bekommen, das ein paar Praktikanten mit einem Ausflug zum Baumarkt oder einer Sammelbestellung bei Amazon an einem Nachmittag lösen könnten?

Die Bundeswehr und das Bundesamt haben ein großes Personalproblem – qualitativ und quantitativ. Die Schwierigkeit, dass zu wenig Mitarbeiter da sind, werden durch jede neue Finanzspritze für die Truppe noch vergrößert. Denn dann müssen dieselben Mitarbeiter, die schon das wenige Geld vorher nicht sinnvoll ausgeben konnten, plötzlich noch viel mehr Geld ausgeben.

Die Personallöcher stopft das Verteidigungsministerium mit temporären externen Beratern. Die sind nicht nur teuer, sie gehen am Ende ihrer (meist kurzen) Vertragszeit auch wieder – und nehmen ihr Wissen mit. Das Beschaffungswesen der Bundeswehr hat also immer nur mit viel Geld kurzfristig ein Problem gelöst, dabei aber seine eigene Expertise kein bisschen vergrößert.

Auch so kann man Geld verbrennen.

Waffenbeschaffung ist immer ein Langzeitprojekt. Kurzfristige Finanzspritzen, auch wenn sie riesig sind wie die 100 „Zeitenwende“-Milliarden von Olaf Scholz, helfen Politikern bei der Eigenwerbung und im Wahlkampf. Der Truppe helfen sie nicht. Denn das verpufft alles, wenn 100 Milliarden nicht für neues Gerät ausgegeben werden, sondern 37 Prozent davon weiterhin in der Verwaltung und der Reparaturwerkstatt landen.

Der Bundeswehr fehlt kein Geld, um Waffen zu kaufen. Der Bundeswehr fehlen Menschen, die wissen, wie man Waffen kauft.

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