Tichys Einblick
Die Voldemortisierung der deutschen Politik

Der Text, der nicht beim Namen genannt werden darf

In den Büchern um Harry Potter ist es lustig, dass die Zauberer den Bösewicht Lord Voldemort nicht beim Namen nennen. Anfangs. Später schlägt es in eine Tyrannei um. Was J.K. Rowling als Literatur erdacht hat, lebt die deutsche Politik Stufe für Stufe nach.

IMAGO / Political-Moments

J.K. Rowling hat die ersten Bücher der Reihe um Harry Potter als Kinderbücher angelegt. Die Welt der Magie ist bunt und zuckersüß, der Einkauf in der Winkelgasse ein großes Abenteuer. Zu den wiederkehrenden Gags gehört es, dass die Zauberer den Namen des Oberschurken nicht nennen: Lord Voldemort. Seinen echten, Tom Riddle, kennen sie gar nicht. In den ersten Jahren der Bucherfolge wurde es zu einem Wortspiel, auch in der echten Welt von „der, dessen Name nicht genannt werden darf“ zu sprechen, oder von „Du weißt schon, wer“.

Die Autorin JK Rowling selbst ist durch raue Zeiten gegangen. Wirtschaftlich war die dreifache Mutter ein Sozialfall. Privat musste sie Missbrauch durch ihren Mann durchleiden. Menschen, die durch tiefe Täler gewandert sind, haben einen besseren Blick für die Welt als die, die ihre ganze Zeit auf der Sonnenseite verbracht haben.

Heute kennt die westliche Kultur nur wenige Kritiker, die einen klareren Blick beweisen als Rowling. Das Opfer von Missbrauch hat früh erkannt und benannt, dass Männer in die Schutzräume von Frauen vordringen, wenn die Gesellschaft ihnen erlaubt, sich ohne jede Prüfung zu Frauen zu erklären. Ein kleiner Teil der Grünen glaubt das erst, wenn Transfrauen in Gefängnissen echte Frauen vergewaltigen. Ein großer Teil der Grünen weigert sich selbst dann noch, das zu erkennen, was nicht beim Namen genannt werden darf, selbst wenn es vor ihren Augen passiert.

Schon als Autorin war Rowling hellsichtig. So gehört zu ihren genialen Schöpfungen die des Premierministers der Zauberer, Cornelius Fudge. Im zweiten und dritten Band ist er noch ein netter, wenn auch leicht peinlicher Onkel, der mit seinem Amt überfordert ist. Im vierten Buch zeigt sich, dass Fudge eher bereit ist, seine Untertanen zu opfern, als die Führung über sie aufzugeben – oder auch nur zu gefährden. Wobei Fudge ein sprechender Name ist. Das Wort steht im Englischen zum einen für Kuhhandel und zum anderen für überzuckertes, weiches Konfekt. In einer Figur hat Rowling also schon Robert Habeck, Olaf Scholz und Friedrich Merz beschrieben, noch bevor sie diese als Britin gekannt haben dürfte.

Diese Klarsicht hat die Erfolgsautorin in ihrem Werk erst recht bewiesen. Ihre Parodie auf Menschen, die Dinge nicht beim Namen nennen wollen, erweist sich in diesen Tagen immer öfters als gelebte Realität. Etwa in der deutschen Politik. Da hat Christian Lindner seine FDP-Wähler damit gelockt, er wolle „mehr Musk und Milei wagen“. Ein Kuhhandel, mit dem er vergessen machen wollte, dass er bisher stets opportunistisch vor jedem grün-roten Druck eingebrochen ist. Doch als dieser Druck erneut auftrat, brach der FDP-Chef in sich zusammen wie ein überzuckertes Törtchen. Auf dem Dreikönigstreffen kritisierte er dann Tesla-Gründer Elon Musk und sprach dabei von einem „gewissen Unternehmer“. Wer Christian Lindner verstehen will, muss nur Harry Potter lesen. Dort hat ihn J.K. Rowling angemessen berücksichtigt. Am Rande. Als Witzfigur, die gefährlich wird, wenn man ihr Verantwortung überlässt.

Oder Friedrich Merz und Markus Söder. Die Chefs der Union wollen mit den Grünen und der SPD regieren, brauchen dafür aber die Stimmen konservativer Wähler. Deswegen tun sie ein wenig so als ob, schließen aber jede echte konservative Politik aus, wie sie etwa die FPÖ betreibt. Die fürchten Merz und Söder derart, dass sie über diese reden als von „… dem, was in Österreich passiert“. Die Voldemortisierung der deutschen Politik schreitet voran.

Die Tagesschau ist dabei. Der ARD-Sender RBB hat über den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gegen den grünen Abgeordneten Stefan Gelbhaar berichtet. Der hat in der Folge seinen sicheren Listenplatz an Habecks Wahlkampfleiter Andreas Audretsch verloren. Nun stellt sich heraus: Das war wohl eine Intrige: Eine grüne Politikerin hat mit einem billigen Trick die „Journalisten“ des RBB übertölpelt. Oder wie die ARD-Nachrichten auf X schreiben: „Neue Entwicklung im Fall Gelbhaar“. Oder: Die journalistische Panne, die nicht beim Namen genannt werden darf.

Die Tagesschau hat die MeToo-Bewegung unterstützt, die den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs mit Verurteilung und Bestrafung gleichsetzen wollte. Auch wenn der Vorwurf sich – wie bei Gelbhaar – als falsch erweist. Diese „neue Entwicklung“ zuzugeben, ist die Korrektur, die nicht beim Namen genannt werden darf. Auch nicht, dass es eine Korrektur ist.

Denn in ihrem eigenen Weltbild ist die ARD der von „unserer Demokratie“™ beauftragte, unfehlbare Hüter der Wahrheit. In der Realität arbeiten dort handwerklich schwache Journaktivisten, die jede Ente schlucken, wenn sie nur ins eigene ideologische Profil passt. Die dann ungeprüft über Fernseher berichten, die ganze Viertel mit Strom versorgen, und die Rassismus darin sehen, dass dieses Wunderwerk eines schwarzen Erfinders noch nicht in Serie produziert wird. Entpuppt sich wieder mal eine Ente als solche, dann ist das halt eine „neue Entwicklung“.

In Rowlings Zauberwelt ist es (anfangs) nicht verboten, Lord Voldemort beim Namen zu nennen. Nur verpönt. FDP, Grüne und SPD sind einen Schritt weitergegangen: Sie haben es unter empfindliche Strafe gestellt, einen Mann beim Namen zu nennen, wenn dieser sich als Frau versteht. Eine Transfrau sei eine Frau. Punkt. So hat die grüne Familienministerin Lisa Paus dieses Gesetz begründet.

Nun gibt es Marla-Svenja. Nach dem deutschen Selbstbestimmungsgesetz ist es verboten, Marla Svenja S… zu nennen. Den gab es, und er war ein wegen Volksverhetzung verurteilter Rechter, nun hat er aber die Frau in sich entdeckt. Damit treibt er Linke vor sich her. Einerseits wollen sie gegen den rechten S… kämpfen, andererseits Marla Svenjas Recht auf eine neue Identität verteidigen. Denn Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes könne es angesichts linker Unfehlbarkeit ja gar nicht geben. Jetzt steht dieser Ihr wisst schon was aber im Raum und will beschrieben werden.

Also schreibt die Zeit auf X: „Eine rechtsextreme Person aus Halle beschäftigt seit Jahren deutsche Behörden. Nun hat sie ihren Namen und Geschlechtsantrag ändern lassen – nicht die erste Provokation.“ Der Missbrauch darf kein Missbrauch sein, weil es ihn nicht geben kann. Marla-Svenja darf nicht S… sein, weil das den Missbrauch beweisen würde. Also voldemortisiert die Zeit von einer „Person“, die eine „Provokation“ verübe. Oder: Ihr wisst schon wer macht ihr wisst schon was.

Die ersten Potter-Bücher sind bunt und kindgerecht. Ab dem vierten Band wird es düsterer, kehrt Lord Voldemort zurück und begründet im siebten und letzten Band eine Tyrannei. Die übertriebene Vorsicht mit seinem Namen bekommt nun eine neue Bedeutung: Weil nur echte Gegner der Tyrannei sich trauen, den Tyrannen Lord Voldemort zu nennen, belegen dessen Anhänger diesen mit einem echten Tabu. Damit erkennen sie den, der ihn ausspricht, und können ihn als Staatsfeind überführen, bestrafen oder gar töten. Betrachtet man sich die Mutation der woken Bewegung von einem anfangs berechtigten Anliegen zu einer gefährlichen, autoritären, freiheitsgefährdenden Ideologie, dann lässt sich Rowling gar nicht stark genug für ihren literarischen Geniestreich feiern.

Die Autorin hat alle Motive geliefert, die Figuren dazu antreibt, Lord Voldemort nicht beim Namen zu nennen. Da gibt es den herzensguten, aber ein wenig einfältigen Halbriesen Hagrid, der sich vor dem Namen einfach fürchtet. So wie der politische Vollzwerg Lindner sich nicht traut, unwoke Positionen zu beziehen, weil er sich vor der lautstarken Rache der Woken fürchtet. Da gibt es die rückgratlosen Politiker wie Fudge, die aus Opportunismus und Ablenkung von „dem“ reden, „was in Österreich“ passiert. Sorry. Das war gar nicht Fudge, das waren Merz und Söder. Kann man ja mal verwechseln.

Ganz am Schluss fallen aber die Masken, wie sie die Voldemorts Anhänger, die Todesser tragen. Dann ist es weder lustig noch feige von Ihr wisst schon wem zu sprechen. Dann ist es das Verbot einer autoritären Bewegung, die Sprechverbote nutzt, um ihre Gegner erkennen und verfolgen zu können. Noch ist Deutschland in einer Zwischenphase, in der das Nennen von Namen schon gesetzlich verboten ist, aber über den Fall Marla-Svenja noch gelacht werden kann. Doch das ist nicht lustig.

Es ist Ausdruck dafür, dass die FDP mit SPD und Grünen ein Gesetz beschlossen hat, das die Nennung von Namen unter Strafen gestellt hat, um die Gegner der woken Politik verfolgen zu können. Ein Gesetz, das Logik, Biologie und Wahrheit unter Strafe stellt. Das Selbstbestimmungsgesetz ist Irrsinn. Es ist gefährlich und bedroht den Rechtsstaat. Das ist die Wahrheit. Die muss beim Namen genannt werden. Denn sonst gilt, was Rowling den größten Zauberer aller Zeiten sagen lässt, Albus Dumbledore: „Nenn die Dinge immer beim richtigen Namen. Die Angst vor einem Namen steigert nur die Angst vor der Sache selbst.“

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