Tichys Einblick
Zukunft der CDU

Friedrich Merz, Bundeskanzler und was dann?

Friedrich Merz ist dazu verdammt, Kanzler zu werden. Dabei hat er eigentlich keinen eigenen Plan dafür, was er mit dem Amt machen will. Wird Merz Regierungschef, droht der CDU der Zusammenbruch – wird er es nicht, droht ihr dieser aber erst recht.

picture alliance / Geisler-Fotopress | Bernd Elmenthaler

Seit über 50 Jahren ist Friedrich Merz Mitglied der CDU, hat in der Partei schon viele Ämter innegehabt. Er ist also ein erfahrener Politiker? Nun. Wie man’s nimmt. Einer Regierungsaufgabe kam Merz am nächsten, als er 2017 Brexit-Beauftragter des Landes Nordrhein-Westfalen wurde. Er sollte für die Regierung herausfinden, wie es sich auf Düsseldorf, Köln und Solingen auswirkt, dass Großbritannien die EU verlassen hat. Da spürte Merz den Atem der Macht so nahe wie nie und trug die Verantwortung, die sonst nur ein Student im dritten Semester der Volkswirtschaft zu schultern weiß. Über 50 Jahre Parteipolitik, ohne je wirklich für etwas verantwortlich gewesen sein. Die Frage, warum die CDU im Januar 2022 ausgerechnet auf diesen damals 66-Jährigen als Hoffnungsträger gesetzt hat, wird in diesem Text noch eine Rolle spielen.

Nun könnte Friedrich Merz der fünfte Bundeskanzler der CDU werden. Eigentlich müsste er es sogar. Schon vor November stand die Union in Umfragen bei über 30 Prozent. Dann zerlegte sich die Ampel selbst – unter Absingen schmutziger Lieder. Jede Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes zu den aktuellen Wirtschaftsdaten spricht gegen die Verantwortlichen aus SPD, Grünen sowie FDP – und sollte eigentlich den Ruf nach dem Blackrockmann und Wirtschaftsexperten Merz lauter werden lassen. Sollte. Tut es aber nicht. SPD und Grüne holen in den Umfragen allmählich auf, wobei der Wahlkampf erst nach Weihnachten und Silvester seine volle Dynamik entfalten wird.

Umso intensiver der Wahlkampf wird, desto stärker fällt das Licht auf Merz. Und der Sauerländer ist ein schlechter Wahlkämpfer. Die Bürger trauen ihm nicht, halten ihn für eine Wundertüte. Laut einer Forsa-Umfrage für den Stern finden 66 Prozent der Deutschen, dass er die Bürger über viele seiner Vorstellungen im Unklaren lässt. Nur 24 Prozent haben den Eindruck, dass er offen sagt, welche Politik er im Kanzleramt verfolgen würde. Zehn Prozent äußern keine Meinung. Selbst 55 Prozent der Wähler von CDU und CSU sagen, dass der eigene Kandidat die Bürger über viele seiner Vorstellungen im Unklaren lasse.

Noch größer ist der Anteil bei den Anhängern von SPD (83 Prozent), Grünen (71 Prozent), AfD (76 Prozent) und BSW (83 Prozent). Allein die Wähler der FDP sind mehrheitlich der Meinung, dass Merz konkret genug ist (47 zu 46 Prozent). Für die Erhebung befragte das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Forsa für den „Stern“ und RTL Deutschland am 5. und 6. Dezember 2024 insgesamt 1.006 Personen.

Habeck, Lemke, Graichen
Still ruht der grüne Sumpf im Wahlkampf
Merz politische Karriere kennt drei Phasen. In der ersten haben die Altvorderen der Partei dem jungen Mann den Weg freigeräumt, den sie als Talent ausgemacht haben. Dieser Weg führte ihn 2000 in den Fraktionsvorsitz der Union im Bundestag. Die zweite Phase ist die, in der sich Merz hätte beweisen müssen. Doch zuerst verantwortete er 2002 den katastrophalen Wahlkampf Edmund Stoibers mit, in dem die Union schon einmal einen großen Vorsprung verspielt hat. Dann unterlag er Angela Merkel im internen Machtkampf. Merz zog sich 2004 zurück und wartete 17 Jahre, bis nur noch Kandidaten wie Helge Braun und Norbert Röttgen übrig waren.

Es war die Ermüdung der Partei, die Merz zum Hoffnungsträger gemacht hat.
Nun ist er (noch) der Favorit auf die nächste Kanzlerschaft. Dass er eine Koalition mit SPD und/oder den Grünen anstrebt, ist zwar ein Aufreger, aber eigentlich nichts Neues mehr. Die Frage steht im Raum, warum Merz potenzielle konservative Wähler der Union mit seinem Bekenntnis zu den Grünen als Koalitionspartner verschreckt hat. Angesichts der Abneigung, die immer mehr Bürger gegen die Könige der Doppelmoral hegen, erscheint es manchen Beobachtern als ungeschickte PR, sich zu den Grünen zu bekennen.

Das ist es auch. Aber der PR-Fehler ist nur ein Folgefehler, der sich aus etwas Größerem ergibt: Die CDU hat nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel und dem verpatzten Wahlkampf von Armin Laschet jede echte Aufarbeitung unterlassen. Die innere Zerrissenheit der Partei ist zu groß, um Konservative und Wirtschaftsliberale auf der einen und die prinzipienlosen Merkelianer auf der anderen Seite zu einem gemeinsamen Kurs verpflichten zu können. Genau das ist das eigentliche Versagen des aktuellen Kandidaten. Über diese Zerrissenheit der Partei hat Merz bisher mit PR-Mätzchen hinweggetäuscht. Ihm hat dabei auch die dilettierende Ampel geholfen, die den Scheinwerfer von ihm weggelenkt hat – jetzt, da er der potenziell zehnte Kanzler der Republik werden könnte, steht der Scheinwerfer voll auf ihm. Jetzt reichen die Mätzchen nicht mehr, um die Risse zu verdecken.PR-Arbeit allein hilft da nicht.

Markus Söder hat das toxische Potenzial der Grünen erkannt, verstanden, wie sie andere Parteien herunterziehen. Der CSU-Chef hat in der Union vermutlich das beste Gespür für Populismus. Wäre es da nicht klüger gewesen für Merz, auf sein Bekenntnis zu den Grünen zu verzichten? Klüger ja. Aber halt nicht möglich. Der CDU-Chef hat bisher auf jeden echten Machtkampf mit Hendrik Wüst, Daniel Günther und anderen Merkelianern verzichtet. In der Parteizentrale hat er sogar Personal übernommen und befördert, das ihn vorher offen bekämpft hat. Bisher hat das dem CDU-Chef das Leben leichter gemacht, doch es hat ihm halt auch den Weg verbaut: Angesichts der Sympathien der Merkelianer zu den Grünen hätte Merz eine Absage an diese als potenziellen Koalitionspartner gar nicht durchhalten können. Gerade Wüst und Günther hätten sich offen gegen ihn gestellt. Es war nicht klug, von Merz sich zu den Grünen zu bekennen – aber unausweichlich.

Zur zweiten Weltumrundung im Rückwärtsrudern
Am Ende steht Friedrich Merz wohl nicht mal für Friedrich Merz
Merz hat noch nie regiert. In der Partei ist er nach oben gekommen, indem andere ihn gepuscht und er selbst gewartet hat. 17 Jahre unter Angela Merkel, bis nur noch Braun und Röttgen da waren. Wäre Merz ein Liebhaber, dann hätte er auf 100 Bällen bis zum Ende ausgeharrt, damit ihn auf dem 101. Ball die betrunkene Einsame nach Hause führt. Auch ein Date. Aber keines, das einen zum Casanova macht. Eine Partei zu übernehmen, die nach 16 Jahren Merkel nicht mehr weiter weiß, macht einen 66-Jährigen ohne Regierungserfahrung genauso wenig zum Machtpolitiker.

Seine Schwäche scheint jetzt deutlich in dem Scheinwerferlicht, das auf dem Kanzlerkandidaten ruht. Merz größter „Verdienst“ als Parteivorsitzender ist eine Frauenquote, die prozentual mehr Frauen Ämter zugesteht, als tatsächlich in der Partei Mitglied sind. Dazu kommt die Festigung der Brandmauer gegen die AfD. Die wollte Merz halbieren und hat sie stattdessen verdoppelt. Seine Erfolge als Parteivorsitzender sind so übersichtlich wie seine Regierungserfahrung.
Doch die anfangs gestellte Frage ist zentral: Da das alles bekannt war, warum hat die Partei dann diesen damals 66-Jährigen zum Parteichef und damit zum designierten Kanzlerkandidaten gemacht? Die Konservativen wollten ihn, weil sie sich ein Zurück in die Kohl-Jahre erhofft haben. Die Merkelianer nahmen ihn in Kauf, weil sie wussten, dass er sich gegen sie nicht durchsetzen würde. Die Merkelianer haben sich als hellsichtiger als die Konservativen erwiesen.

Nun stehen der CDU zwei mögliche Szenarien bevor: Die Schwäche von Rot-Grün spült Merz tatsächlich ins Kanzleramt. Als Oberhaupt einer Koalition mit SPD und/oder Grünen. Dann müsste er all die Politik umsetzen, für deren Ende die Konservativen in der Partei ihn vor knapp drei Jahren gewählt haben: eine faktisch weiter unkontrollierte Einwanderung, dirigistische Eingriffe des Staates in die Wirtschaft und ein weiteres Ausufern der Bürokratie. Außerdem ein fortgesetzter Kampf der Regierung gegen die Meinungsfreiheit, der mit Hausdurchsuchungen, Medienverboten, politischen Prozessen, dem Paragraphen der Majestätsbeleidigung, Serien-Strafanzeigen von Abgeordneten und Ministern gegen widerwillige Bürger oder der Beweislastumkehr im Öffentlichen Dienst bereits begonnen hat.

In all diesen politischen Fragen hat sich Merz in seinen drei Jahren als Parteivorsitzender nie durchgesetzt. Er hat seinen Generalsekretär Carsten Linnemann in einem quälend langen Prozess ein Grundsatzprogramm entwickeln lassen, hinter das sich jeder finden könnte, aber dem genau deswegen auch immer mehr misstrauen. Weil die CDU mehr Staatsferne und mehr staatliche Eingriffe in die Wirtschaft gleichzeitig fordert. Mehr gesetzliche Regelungen will, aber dabei die Bürokratie abgebaut werden soll. Und weil die CDU zwar konsequent abschieben will, aber in der Praxis letztlich nicht an Wochentagen, die auf G enden – oder mittwochs. Zu den Angriffen von SPD, Grünen und FDP auf die Meinungsfreiheit hat sich Merz so konsequent weggeduckt, dass er jeden tibetischen Schweigemönch wie einen Anfänger aussehen lässt.

Merz selbst hat sich nicht festgelegt. Nun geht er eine Koalition mit den Parteien ein, die erfolglos grün-rote Politik begangen haben. Die Partner werden unter einem Kanzler diese Politik fortsetzen wollen. Wird sich Merz dagegenstellen, muss er die Partner bekämpfen, staatliche und staatsnahe Medien sowie die Wüsts und Günthers in den eigenen Reihen, die ihm in solchen Streitfällen permanent in den Rücken fallen werden.

"Kann so einer Kanzler?"
Vielen Dank, Herr Merz, für diese Auskunft und Selbstdarstellung
Trotzdem wird eine Kanzlerschaft eine konservierende Wirkung für die CDU haben. Sie wäre zurück in ihrer Rolle als Kanzlerpartei, die sie in 46 Jahren Adenauer, Kohl und Merkel verinnerlicht hat: Dinge mittragen in der Hoffnung, dass eine starke Führungspersönlichkeit die inneren Risse verstellt. Doch dieser Zusammenhalt hätte einen hohen Preis. Konservative und wirtschaftsliberale Wähler könnten in der CDU endgültig keine Heimat mehr finden. Sie wäre früher oder später als opportunistische Zweckpartei von opportunistischen Karrieristen gebrandmarkt – und würde den Weg anderer christdemokratischen Parteien in Europa gehen.

Dieser konservierende Effekt für die CDU, noch länger mit ihren Rissen zu leben statt sie zu kitten, würde sich dann noch verstärken, wenn Merz in der Ukraine-Frage so handelt, wie er sich bisher öffentlich festgelegt hat. Die eigentlich einzige Frage, in der Merz sich öffentlich richtig festgelegt hat. Dann würde Deutschland auch faktisch zur Kriegspartei am Dnjepr werden. Etwas, das Merz potenzielle Koalitionspartnerin Annalena Baerbock bereits gefordert hat. Dann würde Merz zum ersten Kriegskanzler, seine Partei sich noch entschlossener hinter ihn stellen und ihre innerpolitischen Widersprüche unterdessen umso besser gedeihen.

Nur: Scheitert Merz in der Wahl, dann muss er zurücktreten. Die CDU ginge in die Opposition oder würde Juniorpartner. Dann würde nichts mehr die Fliehkräfte aufhalten. Drei Jahre ließen sich die Christdemokraten vormachen, ihre Partei sei die Opposition gegen die Ampel – während sie deren Anträgen meist zustimmte und nur die andere Oppositionspartei ernsthaft bekämpfte. Doch dieser Kurs schwächt die CDU. Deswegen kommt sie nicht voran, obwohl sie gegen eine Regierung antritt, die vorzeitig erschöpft aufgegeben hat.

Die Risse in der CDU lassen die Partei bröckeln. Derzeit ist niemand in Sicht, der sie kitten will. Nicht Merz und schon gar nicht sein potenzieller Nachfolger Wüst. Unter dem hätten die Merkelianer endgültig gesiegt und die Konservativen keine Heimat mehr in der Partei Helmut Kohls oder Konrad Adenauers. Dann wäre sie ein Bündnis rückgratloser Karrieristen, die sich nach jedem Wind biegen – in einem richtigen Sturm ginge die CDU unter. Gerade, wenn der Ukraine-Krieg eskaliert, während sie in der Opposition ist.

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